Dienstleistungen machen den wichtigsten Wachstumstreiber für die Wirtschaft vieler größerer Städte in den USA aus, was Beschäftigungszahlen, Einnahmen und Steuern betrifft. Ob im Tourismus, im Banken- und Finanzbereich, im Immobiliensektor, bei Technologie und Handel – Dienstleistungen waren, sind und bleiben Dreh- und Angelpunkt der ökonomischen Entwicklung in den USA.
In vielen großen US-amerikanischen Städten gilt Technologie als zentrale Dienstleistung, und ihre Auslagerung nach Lateinamerika wird als vielversprechende Option neben dem heimischen Technologie-Unternehmertum betrachtet. Immer mehr Unternehmen betreiben im B2B-Geschäft miteinander Handel, so dass dem Outsourcing eine wesentliche Rolle zukommt. Technologischer Fortschritt, sinkende Kosten plus unternehmerische Chancen und Wachstum in sich entwickelnden Märkten treiben das Outsourcing-Geschäft voran. Die Vorteile für Unternehmer und Unternehmen sind zahlreich: schnelleres Firmenwachstum, Zugriff auf qualifizierte ausländische Arbeitskräfte, Steigerung von Produktivität und Service, Neustrukturierung von Geschäftsprozessen, schnellere Markteinführungen, Zugang zu neuen Märkten, flexible Technologie und höhere Flexibilität durch den Abbau unnötiger Kosten durch Mehraufwand.
Einfache buchhalterische Arbeiten und Auswertungen medizinischer Unterlagen auszulagern und Call-Center zu betreiben, ist heute in vielen Bereichen und Branchen gang und gäbe. Immer wichtiger jedoch wird das Auslagern von Prozessen auf Auftragnehmer in der Nähe – das sogenannte „Nearshoring“. Diese Variante ist kostengünstiger (falls Outsourcing-Kosten durch Währungsaufwertungen steigen), kulturell besser kompatibel (etwa Jamaika gegenüber den Philippinen) und weitaus effizienter und effektiver, wenn Nähe etwa aufgrund von unterschiedlichen Zeitzonen wichtig wird.
Viele US-Unternehmen, multinationale Konzerne ebenso wie lokale Firmen, große wie kleine Unternehmungen, stützen sich auf Outsourcing ins Ausland und dabei vor allem auf „Nearshoring“ an Auftragnehmer in der Karibik und in Mittelamerika. Da Kosten, Qualität und Leistungsfähigkeit der Outsourcing-Partner von Jahr zu Jahr schwanken können, sind Unternehmen, die diese Dienste in Anspruch nehmen, kontinuierlich auf der Suche nach neuen, konkurrenzfähigen Anbietern. Es ist ein Glücksfall für US-amerikanische Unternehmen mit Nearshoring-Bedarf, dass ein neuer Anbieter existiert, der sich in ein oder zwei Jahren als neuer Hauptakteur erweisen kann – Kuba.
Nach der Ankündigung des Weißen Hauses im Dezember 2014, die Wirtschaftssanktionen gegenüber Kuba zu lockern, brachten sich US-amerikanische Unternehmen sofort in die richtige Position, um von den kommerziellen Möglichkeiten zu profitieren. Nachdem das US-Schatzamt amerikanischen Unternehmen die Eröffnung von Konten bei kubanischen Banken genehmigt hatte, war MasterCard eines der ersten Unternehmen, das seine Kunden darüber informierte, zukünftig Geschäftsvorgänge per Kreditkarte in Kuba zu bedienen. Es war jedoch die Technologie, die von der Administration als prioritäres Ziel ausgewählt wurde. Cisco, Oracle, AT&T, Dell und andere werden die Option gründlich prüfen und entsprechende Planungen für einen Vorstoß in die Inselnation vornehmen.
Kirk Laughlin, Geschäftsführer von Nearshore Americas, weist darauf hin, dass Kuba kein typischer Nearshoring-Partner sei, jedoch gewaltige Aktivposten dafür mitbringe. Ein Faktor ist die Nähe (eine in New York arbeitende Führungskraft fliegt doppelt so schnell nach Havanna wie zu einem der mittelamerikanischen Outsourcing-Zentren); zudem lebt auf Kuba eine gebildete Bevölkerung (99,8 % Alphabetisierungsrate), da das Land dreimal mehr als Mexiko von seinem BIP in Bildung investiert; auch die Faszination und der Reiz des Neuen spielen eine Rolle, in früher unzugänglichen Gefilden sein Geschäft zu betreiben. Darüber hinaus verfügt Kuba über einen sehr großen IT-Markt mit 6,000 bis 10,000 Fachkräften, darunter Softwareprogrammierer, Tester, Designer und Projektmanager.
Selbstverständlich ist das Auslagern von Dienstleistungen nach Kuba auch mit starken Beschränkungen und Verlustrisiken verbunden. Zunächst muss das Land sein Stromnetz optimieren, sein Funknetz ausbauen und technisch erweitern sowie die Ausbildung seiner IT-Fachkräfte verbessern (Fachkräfte, die fast ausschließlich in staatlichen Betrieben arbeiten). Computertechnik und Informatik sind beliebte Studienfächer, aber der Staat verfügt nicht über die Mittel, alle im Land vorhandenen Talente zu integrieren. Und letztlich basieren die meisten Rechnerverbindungen noch auf dem veralteten X.25-Protokoll.
Negativpunkte sind darüber hinaus der beschränkte Internetzugang (nur 16 von 100 Kubanern haben Internetzugang; Im Vergleich: 40 von 100 Einwohnern der Dominikanischen Republik sind online), mangelhafte Finanzierung im IT-Bereich und das Fehlen eines angemessenen Urheberrechts.
Diese Defizite werden jetzt Zug um Zug angegangen, und es ist zu erwarten, dass Kuba im Lauf der kommenden Jahre sich als tragfähiger Nearshoring-Standort entwickeln wird.
Dr. Jerry Haar ist Professor für Business an der Florida International University und Senior Research Fellow an der McDonough School of Business der Georgetown University.