BVB-Marketingdirektor Carsten Cramer beim Audi-Dialog an der Munich Business School
Markendreiklang, Business Development, Brand Extension – wer solche Begriffe hört, dachte lange Zeit kaum an Fußball. Doch Fußballvereine sind heute längst Unternehmen: Sie kämpfen auf dem Platz um Titel und im Markt um Anteile. Dabei müssen die Clubs stetig neue Denkansätze und Strategien entwickeln, um auch als Unternehmen erfolgreich zu sein. Borussia Dortmund hat sich in den letzten Jahren zu einer starken Marke entwickelt. Für die Fans ist der Club aber vor allem echte Liebe. Wie passt das beides zusammen? „Starke Marke oder echte Liebe?“ – so lautete das Motto des 13. Audi Dialogs an der Munich Business School. MBS Professor Dr. Dr. h.c. Josef Hackforth hatte Carsten Cramer eingeladen, Direktor für Marketing, Vertrieb und Business Development beim BVB.
Josef Hackforth: Wir wollen heute über Fußball sprechen, über die Emotionalität, die echte Liebe einerseits und die Rationalität andererseits, eine Marke zu entwickeln. Beginnen wir mit dem Stichwort „Business Development“. Wo sehen Sie für den BVB neue Geschäftsfelder?
Carsten Cramer: Also ich glaube, die große Herausforderung in dem Bereich der Entwicklung neuer Geschäftsfelder ist das Wertschätzen des Wortes „Nein“. Man muss sich die Frage stellen: Wie weit dürfen wir uns als Fußballverein öffnen? Wie weit dürfen wir uns vom Kerngeschäft entfernen? Was sind das für Geschäftsfelder, die wir besetzen können, ohne dabei unsere Glaubwürdigkeit zu verlieren?
„Echte Liebe“ ist für uns keine Kampagne, kein Motto, kein Claim – sondern unser Markenversprechen. Im Bereich der neuen Geschäftsfelder stellen wir uns immer die Frage: Passt das zu Borussia Dortmund? Auf der anderen Seite sind wir natürlich ständig der Herausforderung ausgesetzt, die Erlöse für den Verein weiter zu steigern.
Ein Beispiel: Wir haben uns gesagt, auch wieder unter dem Gesichtspunkt des Markenversprechens, wir können die Eintrittspreise nicht massiv erhöhen, obschon die unfassbare Nachfrage einen deutlich höheren Preis rechtfertigen würde. Wir können nicht einfach über das Instrument der Preiserhöhung mehr Erlöse generieren. Stattdessen müssen wir neue Ideen entwickeln. Und das ist eben die andere Seite des Business Development, sich dann die Frage zu stellen: Wie weit können wir gehen? Ich bin froh, auch mal nein sagen zu dürfen und zu können.
JH: Gibt es Branchen, bei denen Sie sagen, das wäre zukünftig für Sie als Partner oder als Sponsor besonders interessant?
CC: Ich denke, dass es viele Branchen gibt, die zu uns passen. Der idealtypische Partner für einen Fußballverein, das beweisen Affinitätsstudien, ist immer eine Brauerei. Auch Autos, Mobilfunk oder Finanzdienstleistungen sind Branchen, bei denen die Konsumenten der Branche eine sehr hohe Affinität zum Fußball haben; und die Fußballklientel umgekehrt auch. Also ich glaube, dass man Branchen fast beliebig erweitern kann.
Aber es gibt natürlich Grenzen: Einmal hat bei uns ein Unternehmen wegen einer Zusammenarbeit angefragt, das mit binären Optionsscheinen handelt, also quasi Wetten auf Aktien anbietet. Das ist ein großes Wachstumsfeld im internationalen Fußball, aber so etwas können wir unseren Fans nicht zumuten. Sportwetten sind etwas anderes, aber wer von unseren Fans hat denn Ahnung von binären Optionsscheinen? Sollen wir Werbung machen für ein Produkt, bei dem 50 Prozent unserer Fans wahrscheinlich eine Menge Geld verlieren? So etwas lehnen wir dann ab.
JH: Da heißt es dann, andere Ideen zu entwickeln…
CC: Genau. Ein konkretes Geschäftsfeld, das wir vor einigen Jahren besetzt haben, ist der Tourismus. Wir sind jetzt auch als Reiseveranstalter am Markt: Sie können etwa einen Wochenendtrip nach Dortmund buchen und in dem Reisepaket ist unter anderem eine Eintrittskarte enthalten. Aber eben noch viele andere Dienstleistungen. Das sind, wie wir glauben, die Geschäftsfelder, die zu Borussia Dortmund passen. Wir können so die Marke transportieren und wir können damit Geld verdienen – aber eben auf glaubwürdige Weise.
JH: Können Sie ein Beispiel nennen, wo die Erweiterung der Marke BVB nicht so funktioniert hat wie geplant?
CC: Wir haben einmal gesagt, wir wollen technisch unser eigener Dienstleister werden. Und wir hatten geglaubt, angefangen mit der Programmierung einer eigenen Webpage, solche Services auch an Dritte zu verkaufen. Aber das war ein Tick Markendehnung zu viel. Welcher Verein in der Bundesliga hat schon Lust, sich technische Dienstleistungen von Borussia Dortmund zu kaufen? Ich würde mir als BVB keine von den Kollegen in Gelsenkirchen andrehen lassen, und zwar nicht nur, weil ich dadurch im Zweifel deren wirtschaftliche Leistungsstärke unterstütze.
JH: Echte Liebe oder starke Marke – sind das Gegensätze? Muss man aufpassen, dass man die Marke nicht zu hoch bewertet und die Liebe zu gering?
CC: Ich glaube, dass das im deutschen Fußball ausgewogen ist. Es gibt sicherlich hier und da Grenzbereiche, die wir nicht überschreiten sollten. Wir müssen aufpassen, dass der Fußball nicht zu sehr Ziel unternehmerischer Interessen wird. Man muss immer noch das Spiel, den Fußball in den Mittelpunkt stellen. Und die echte Liebe, die wir häufig bei Borussia Dortmund aussprechen, die gibt uns dabei Orientierung. Unseren Job müssen Sie als Schaufensterputzer verstehen: Wir halten das Schaufenster sauber, aber wir sind nicht für das Produkt verantwortlich.
JH: Man hört immer wieder: Die Bundesliga hat den asiatischen Markt lange vernachlässigt. In Japan oder Südkorea sehen sich Fußballfans stattdessen die Spiele der Premier League an. Sollte man aus Marketingsicht Spieler aus solchen Ländern in die Bundesliga holen, um mehr Aufmerksamkeit für den deutschen Fußball zu generieren?
CC: Auch hier gilt: Der Sport gibt vor, im Marketing haben wir nur die Aufgabe, das entsprechend zu inszenieren. Natürlich habe ich mich gefreut, als wir den Japaner Shinji Kagawa das erste Mal verpflichtet haben. Und ich war sensationell happy, als wir ihn das zweite Mal geholt haben. Aber ich bin nicht derjenige, der zu Sportdirektor Michael Zorc geht und sagt: Hey, holt bitte den Kagawa! Dann würde genau das falsch sein, was ich vorhin gesagt habe. Wir sind ein Fußballverein! Es darf niemals so sein, dass jemand aus dem Marketing sagt: Holt endlich den ersten Inder!
JH: Gehen wir zum Thema Medienrechte über, da hat auch vieles stattgefunden in den letzten Monaten. Denken wir an den Verkauf des Sportmarketing-Unternehmens Infront an chinesische Investoren, für über eine Milliarde Euro.
CC: Wahnsinn, ja. Ich glaube, der Inhalt Fußball hat einen unschätzbaren Wert. Und wenn man dann wieder den Preis sieht, der dafür bezahlt wird, dann ist es ja immer noch ein relativ günstiges Recht, den Fußball zu übertragen. Vergleichen Sie das mal mit Hollywood und Ähnlichem.
Frage aus dem Publikum: Würden Sie es als Borussia Dortmund bevorzugen, sich selbst zu vermarkten? Oder sind Sie froh, dass das die DFL macht, die Betriebsgesellschaft der 1. und 2. Bundesliga?
CC: Wir leben vom großen Ganzen und dürfen uns auch nicht wichtiger nehmen, als wir sind. Wir sind Bestandteil der Bundesliga und gerade im Hinblick auf die Internationalisierung hilft es uns, zum Format Bundesliga zu gehören. Umgekehrt fahren wir auch auf dem Zug Bundesliga mit, um das Format zu stärken. Manche Dinge können wir besser, aber am Ende ist das Leben ein Geben und Nehmen. Da ist die Zentralvermarktung mit ihrem Solidaritätsprinzip tadellos.
Frage aus dem Publikum: Wo wir gerade von Internationalisierung reden: Wo sehen Sie in diesem Bereich die zukünftigen Aufgaben? Wo müsste sich Borussia Dortmund als Marke weiter aufstellen?
CC: Wir verfahren nach den ganz einfachen, banalen Prinzipien des Markendreiklangs, indem wir sagen: Wer uns nicht kennt, kann uns nicht gut finden. Wer uns nicht gut und sympathisch findet, wird uns niemals konsumieren. Und da die Marke BVB noch nicht so bekannt ist – also keine Top-Brand wie Real, ManUtd oder Bayern München –, müssen wir mehr Reichweite generieren. Wir müssen bekannter werden, wir müssen in den Medien stattfinden, so dass wir in die Haushalte der Menschen fliegen.
Deshalb werden wir auch immer in Gelb-Schwarz spielen. Einige kennen uns noch nicht, aber Gelb-Schwarz, da gibt es nicht viele Wettbewerber. Sieht man ein gelbes Trikot, weiß man, das ist Borussia Dortmund.
Wer uns dann kennt, wird sich die Frage stellen: Finde ich die gut oder nicht? Wenn wir uns als Verein charmant und apart präsentieren, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass man uns sympathisch findet. Und wenn uns jemand sympathisch findet, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit des Absatzes oder der Verwendung. Deshalb ein wirklich primitives Ziel: Reichweite, Reichweite, Reichweite! Wir wollen stattfinden.
Frage aus dem Publikum: In letzter Zeit sind immer wieder Informationen über den BVB in den Medien durchgesickert, was so scheinbar nicht geplant war, etwa der vorzeitige Abschied von Jürgen Klopp zum Saisonende. Wie gehen Sie damit um?
CC: So etwas lässt sich nicht vermeiden bei der Relevanz des Themas. Damit kann man umgehen und wir gehören nicht zu denen, die meinen, Schwächen komplett glatt bügeln zu müssen. Wenn Sie sagen, das ist eine Markenschwäche, dann lasse ich es gerne zu. Ich definiere es aber nicht als Schwäche.
Wir haben reagiert, wir waren vorbereitet. Der Tag hat uns etwas überrascht, die Nachricht war auch nicht schön, das hat einen schon mitgenommen. Wir sind nun mal sehr emotional und wir haben uns fest geschworen, dass auch Momente der Trauer dazugehören. Sie können nicht echte Liebe predigen, aber die negativen Seiten der Liebe komplett ignorieren und ablegen. Das gehört mit dazu.