Global, mobil, interkulturell und international – das alles wäre ohne Sprachen nicht möglich. Genauer gesagt: Es wäre ohne Englisch nicht möglich. Meistens jedenfalls, denn Englisch ist weltweit mit Abstand die dominierende Sprache. Doch wie entwickelt sich diese Dominanz? Und was hat es mit der viel gepriesenen Mehrsprachigkeit tatsächlich auf sich?
Die EU fördert die Mehrsprachigkeit ihrer Bürger
In der EU werden 24 offiziell anerkannte Sprachen gesprochen [1], dazu gibt es mehr als 60 Regional- und Minderheitensprachen sowie zahlreiche indigene Sprachen von Migrantengemeinschaften.[2] Es ist das erklärte Ziel der EU, die Mehrsprachigkeit ihrer Bürger zu fördern, da dies entscheidende wirtschaftliche, soziale und berufliche Vorteile zur Folge hätte. Die Bewahrung der Sprache fördert – so die offizielle Haltung der EU – auch die Bewahrung der kulturellen Traditionen, der Regionalismen, der Eigenheiten. Das Recht auf die eigene Sprache gilt als Menschenrecht, die Abwertung von Zweisprachigkeit, die Vernachlässigung von Kindern anderer Muttersprache in der Schule wird als Linguizismus verurteilt, als Diskriminierung aufgrund sprachlicher Verschiedenheit.[3]
Zwei- oder Mehrsprachigkeit erleichtert das Erlernen weiterer Sprachen, erweitert den Horizont und schärft das Bewusstsein für Differenzen, aber auch für die eigene Ausdrucksfähigkeit; es eröffnet berufliche Perspektiven, ganz abgesehen von den Vorteilen, mit Menschen verschiedener Sprachen unmittelbar in Kontakt treten zu können, in andere Lebenswelten eintauchen zu können. Neben diesen (und vermutlich noch vielen weiteren) Vorteilen gibt es einen gewaltigen Nachteil: Eine Sprache zu lernen kostet große Anstrengungen in Form von Zeit, Energie und Geld.
Nach den Umständen gefragt, die das Erlernen einer Fremdsprache erleichtern oder fördern, antworteten in einer Eurobarometer-Umfrage 29 Prozent der befragten EU-Bürger, dass der Sprachunterricht kostenlos sein müsse, 19 Prozent würden eine Sprache nur dann lernen, wenn man sie dafür bezahlt.[4] Nach den Hemmnissen befragt, die sie am ehesten am Erlernen einer Fremdsprache hindern, kreuzten insgesamt 34 Prozent der Befragten an, ihnen fehle der nötige Ansporn. Zeitmangel (28%), zu hohe Kosten (25%) und kein Talent zum Sprachenlernen (19%) werden als weitere Gründe angegeben.[5]
Eine gemeinsame Sprache für Europa?
Immerhin 53 Prozent der befragten EU-Bürger vertreten die Meinung, dass sich die europäischen Institutionen in einer gemeinsamen Sprache an ihre Bürger wenden sollten. In welcher Sprache? Das wurde nicht gefragt, aber wir dürfen ruhig vermuten, dass mehrheitlich das Englische gewählt würde.[6]
Die wirtschaftliche Stärke der großen englischsprachigen Industrienationen bestimmt auch die wirtschaftliche Bedeutung des Englischen. Die Veränderungen in der Weltwirtschaft können sich auch auf diese Bedeutung auswirken. Das Gross Language Product (GLP) berechnet den Anteil der im jeweiligen Land gesprochenen Sprachen entsprechend dem Gross Domestic Product (GDP) des jeweiligen Landes als “Brutto-Sprachen-Produkt”, also als ökonomische Bedeutung der Sprache.[7] Selbst bei den unterschiedlichen Berechnungsmethoden steht das Englische in der Bedeutung des GLP stets mit großem Abstand vor den anderen Sprachen: dem Japanischen, Deutschen, Spanischen, Französischen, Russischen und Chinesischen.
67 Prozent aller EU-Bürger gaben an, dass Englisch die Sprache ist, die für sie am nützlichsten sei.[8] Neben allerlei Annehmlichkeiten – Englisch ist die Sprache des Internets, der modernen Musik, der internationalen Verständigung etc. – bezieht sich der Nutzen natürlich auf die Karrierechancen und Verdienstmöglichkeiten, die in der international verflochtenen Wirtschaft nur über Fremdsprachen und hier in erster Linie über das Englische erreichbar sind. Englisch ist also im wahrsten Sinne des Wortes Gold wert.
Unzählige “World’s Englishes” verändern das Englische
Die Bedeutung der englischen Sprache in der internationalen Kommunikation ist heute unumstritten und manche fragen sich, wie lange es dauern wird, bis Englisch die Weltsprache sein wird – und andere Sprachen vollends verdrängt. Sprachwissenschaftler sprechen dagegen schon seit geraumer Zeit von den “World’s Englishes”, den unzähligen Varietäten des Englischen. Die Zahl der Menschen, die Englisch als Fremdsprache sprechen (etwa 1.500 Millionen), übersteigt die der Muttersprachler bei weitem (etwa 375 Millionen)[9] und diese “L2-Sprecher” verändern das Englische mit ihrer ganz eigenen Kultur, Aussprache und Syntax.
Schon das britische und das amerikanische Englisch weisen deutliche Unterschiede auf. Doch auch die anderen Varianten des Englischen entwickeln sich nach Meinung einiger Forscher zunehmend eigenständig, so dass in der Zukunft verschiedene Sprachen auf der Grundlage des Englischen entstehen werden.
Droht dem Englischen als Lingua Franca dasselbe Schicksal wie dem Lateinischen? Die Entwicklung von Sprachen folgt der Entwicklung von Gesellschaften [10] und wir müssen uns wohl langfristig mit der Mehrsprachigkeit der Menschheit “abfinden”. Das aber bedeutet “Entwarnung” in zweierlei Hinsicht: Die Mehrsprachigkeit der Menschheit bleibt, aber auch die Dominanz des Englischen wird sich wohl noch geraume Zeit halten.
[1] Europäische Union (2012): Politikfelder: Mehrsprachigkeit, abgerufen von:http://europa.eu/pol/mult/index_de.htm (1.12.2015).
[2] Spezial Eurobarometer 386 (2012): Die europäischen Bürger und ihre Sprachen, Europäische Kommission, abgerufen von:http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_386_de.pdf (1.12.2015), S. 2.
[3] Skutnabb-Kangas, Tove (Hrsg.) (2012): Language Policy and Linguistic Human Rights, in: Ricento, Thomas (2006): An Introduction to Language Policy. Theory and Method, Blackwell, p. 273-291.
[4] Spezial Eurobarometer 386 (2012), S. 98.
[5] Spezial Eurobarometer 386 (2012), S. 110.
[6] Spezial Eurobarometer 386 (2012), S. 131.
[7] Graddol, David (2000): The Future of English, S. 28.
[8] Spezial Eurobarometer 386 (2012), S. 78.
[9] statista (2015): Meistgesprochene Sprachen weltweit (Weltsprachen.net)
[10] Siehe hierzu z.B. Dixon, R.M.W. (1997): The Rise and Fall of Languages, Cambridge u.a., insbesondere S. 58ff.