Mut zur Leere – einfach mal abschalten!

Das Smartphone ist immer mit dabei
© Andrey Popov – iStock.com

Schon wieder eine Nachricht über WhatsApp, zwei E-Mails beantworten, das Nachrichtenportal checken, schnell noch eine SMS schicken; wo liegt eigentlich das Restaurant, wo wir uns heute Abend treffen? Schnell mal nachschauen…

Menschen, die auf Displays starren, sind die Regel in U-Bahnen, Zügen, Warteschlangen, im Restaurant, alleine und zu zweit, überall – und eben auch in Hörsälen und Seminarräumen. „Mensch und Smartphone passen einfach verdammt gut zusammen. Als hätten wir uns jahrhundertelang nach dieser Symbiose gesehnt, dient uns das Gerät als Krücke zum Ausgleich menschlicher Gebrechen wie Vergesslichkeit (Fotosammlung), Denkfaulheit (Google), Schüchternheit (Facebook, Mails, SMS). Als tragbare Spielhölle, Disco, Videothek hat es die Langeweile abgeschafft, auf dem Gerät fließt unser gesamtes Privat- und Berufsleben zusammen – kein Wunder, dass wir es kaum noch aus der Hand legen.“ [1]

Zwischen Präsenz und virtueller Realität

Mit dem Smartphone verschwimmen die Grenzen von Zeit und Raum: Wir sind zwar da, physisch, aber unsere Aufmerksamkeit springt ständig hin und her. Nimmt unser Gegenüber uns überhaupt wahr? Wir sind uns dessen nicht mehr sicher, da die Konzentration ununterbrochen oszilliert zwischen Präsenz und virtueller Realität.

Wie die Studentin, die soeben vorgetragen hat, wie sich ihre Gruppe eine Fragestellung zum Gebrauch mobiler Kommunikationsgeräte vorstellt; die, sobald ich zu einer Antwort ansetze, bereits wieder in ihr mobiles Endgerät vertieft ist. Wie der Radfahrer, der in Schlangenlinie vor mir herfährt und nur knapp den Laternenmast verfehlt: Er ist in seine Smartphone-Welt eingetaucht, zusätzlich akustisch abgeschirmt durch riesige Kopfhörer.

Abwehrreaktionen reichen von Verwirrung – hört mir der andere nun zu oder nicht? – bis zu Verärgerung wegen des „Phubbings“ (von „Phone“ und „Stubbing“, vor den Kopf stoßen). Die Warnungen vor „Missbrauch“ oder exzessiver Nutzung mobiler Endgeräte reichen von „digitaler Demenz“ [2] über Konzentrationsstörungen und Leistungsschwäche infolge von Multitasking [3] bis hin zu Depressionen, Angstzuständen und Schlafstörungen [4], gar einem regelrechten Suchtpotenzial.

Als Werkzeug der Geschäftigkeit, die dem Zeitgeist entspricht, sind mobile Endgeräte stets zur Hand, um aufkeimender Langeweile den Boden zu entziehen, Leere zu vermeiden, jeglichen freien Raum zu füllen. Diese Form von Geschäftigkeit kann eine „manische Abwehr“ [5] darstellen, Leere und Langeweile können dann nicht mehr genutzt werden, um die eigene Welt, die eigenen Gedanken, die eigene Befindlichkeit wahrzunehmen.

Ständig erreichbar, ständig online

Nach einer Studie der Techniker Krankenkasse sind im Durchschnitt 87 Prozent der 18- bis 25-Jährigen ständig erreichbar, ständig online [6], was bedeutet: Sie vergewissern sich in sehr kurzen Zeitabständen über den gesamten Tag hinweg, ob wieder eine Nachricht eingetroffen ist, und unterbrechen dafür jegliche Tätigkeit.MBS-Blog-Smartphone-TK

Grafik: © Techniker Krankenkasse

Die Klagen aufgrund von Stress durch Informations- und Reizüberflutung und ständige Unterbrechungen (und die dadurch bedingten Erkrankungen) häufen sich, obwohl wir im Falle von Smartphones diese Unterbrechungen und auch die Informationsflut bereitwillig selbst provozieren, indem wir ständig prüfen, ob in den letzten Minuten wieder etwas passiert ist in der Cyberwelt.

Ratschläge zur Stressreduzierung und Entspannung können darum auch als ein Plädoyer für mehr Leere verstanden werden: Spazierengehen, Atemübungen, Meditation, Achtsamkeitstraining, Nichtstun – all dies dient dazu, das Hier und Jetzt wahrzunehmen und eben keine Aktivitäten zu forcieren. Das „Abschalten“ kann getrost wörtlich genommen werden: Es bedeutet Auszeiten nehmen, auch für die Geräte, auch für das Smartphone. „The most effective executives are those who can both act and reflect – which means making time to do nothing.“[7] Wir brauchen die Leere, in der sich Gedanken, Kreativität, Intuition entfalten können. Wohldosiert, jeden Tag. Darum: Einfach mal abschalten!

[1] Rutenberg, Jürgen von (2015): Seit das Smartphone immer dabei ist, sind wir nie ganz da, wo wir gerade sind, in: Zeit Magazin Nr. 29, 3. August 2015.
[2] Spitzer, Manfred (2012): Digitale Demenz: Wie wir unsere Kinder um den Verstand bringen, München.
[3] Junco, Reynol (2012): In-class multitasking and academic performance, in: Computers in Human Behavior 28, 2236-2243.
[4] Demirci, Kadir/Akgönül, Mehmet; Akpinar Abdullah (2015): Relationship of smartphone use severity with sleep quality, depression and anxiety in university students, in: Journal of Behavioral Addictions 4 (2), pp. 85-92.
[5] Kets de Vries, Manfred F.R. (2015): Doing nothing and nothing to do: The hidden value of empty time and boredom, in: Organizational Dynamics 44, p. 171.
[6] Techniker Krankenkasse (2013): Bleib locker Deutschland! TK-Studie zur Stresslage der Nation, Hamburg, S. 25.
[7] Kets de Vries, Manfred F.R. (2015): Doing nothing and nothing to do: The hidden value of empty time and boredom, in: Organizational Dynamics 44, p. 171.

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Über Prof. Dr. Gabriella Maráz 34 Artikel
Gabriella Maráz ist Professorin für Interkulturelles Management und Methodenlehre mit den Schwerpunkten Informations- und Kommunikationspsychologie und Arbeitstechniken.