„Refugees Welcome! – Aufbruch und Wandel an Hochschulen?“ lautete der Titel der Frühjahrstagung des Hochschulnetzwerks Bildung durch Verantwortung e.V. in Kooperation mit der Leuphana Universität Lüneburg, die vom 27. bis 29. April 2016 in Lüneburg stattfand. Eine Ideen-Checkliste des Hochschulnetzwerks (hier veröffentlicht am 15. Januar 2016) zeigte bereits ein buntes und breit gefächertes Spektrum der Aktivitäten auf, die an Hochschulen zur Integration von Flüchtlingen bereits stattfinden. Hier finden sich viele Ideen für potenzielle Nachahmer!
Die Themen reichen von der Studienvorbereitung und dem Hochschulzugang bis hin zu Bildungs- und Beratungsangeboten und zu praktischen Unterstützungsleistungen und sparen auch die Forschung und den Diskurs zur Thematik nicht aus. Inhalte, die geeignet sind, soziales Engagement an Hochschulen in Form von Service Learning, Community Based Research oder Social Entrepreneurship Education zu fördern und damit die Lehre zu unterstützen, sind hier besonders gekennzeichnet.
Die Tagung in Lüneburg hat in einem Open-Space-Programm weitere Facetten des Themas aufgefächert. Zuerst denkt man bei der Kombination „Hochschule und Flüchtlinge“ sofort an freiwilliges Engagement von Studenten, die Hilfsgüter sortieren, Betten aufbauen und Flüchtlinge begleiten. Doch das Engagement geht weit über einfache Hilfsdienste hinaus.
Open Space ist eine Methode zur Moderation von Großgruppen, die sich eignet, Anliegen der Teilnehmer ein Forum zu bieten, Diskussionen anzustoßen und die Ergebnisse in Protokollform allen zur Verfügung zu stellen (siehe die Dokumentation zur Tagung). An die Diskussionen, die in Lüneburg zahlreich stattfanden, schloss sich eine Runde zur „Handlungsplanung“ an.
Was können Hochschulen für die Flüchtlingsintegration tun?
Viele der vorgebrachten Anliegen ergaben sich erkennbar aus den Aktivitäten, die von Studenteninitiativen oder Hochschulen zum Thema Flüchtlingsintegration bereits durchgeführt wurden: Wie können Flüchtlinge in Fachcurricula eingebunden werden? Wie können die Probleme bei der Immatrikulation von Flüchtlingen und bei der Finanzierung des Studiums angegangen werden?
Auch Fragen zum Umgang mit dem Thema wurden gestellt: Wie kann man Widerständen gegen die Flüchtlingsarbeit begegnen? Wie gestaltet sich eine Zusammenarbeit und Kommunikation auf Augenhöhe? Wie kann ein Gleichgewicht zwischen Förderung und Bevorteilung gefunden werden? Vertreter von Frankfurter Hochschulen trafen sich gleich zu einem Runden Tisch, um eine Zusammenarbeit und Vernetzung auf regionaler Ebene zu planen.
Die Hochschule von morgen
In einigen Anliegen wurden jedoch auch Visionen für eine Hochschule der Zukunft angedeutet, die sich angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen nicht nur aus der Flüchtlingsthematik ergaben und damit über das Tagungsthema hinauswiesen. In der Diskussion zur „Hochschule der Zukunft“ etwa wird Universität als „Multiversität“ gedacht: Warum nur an einer Hochschule studieren? Warum sollten sich Universitäten mit allen Disziplinen beschäftigen und nicht vielmehr ein spezielles Profil schärfen? Warum sind nicht auch Persönlichkeitsentwicklung und gesellschaftliches Engagement Schwerpunkte der Hochschulbildung? Sollten die Bedingungen für den Hochschulzugang nicht überdacht werden?
So genannte MOOCs, Massive Open Online Courses, also allen zugängliche Online-Kurse (meist) auf Hochschulniveau, sind ein Beispiel für diese Öffnung der Hochschulbildung. Ein Beispiel hierfür ist Kiron Open Higher Education. 2014 gegründet, bietet das Social Start-up Flüchtlingen die Möglichkeit, zwei Jahre online zu studieren und im dritten Jahr – unter Anrechnung einiger Kurse zum regulären Studium und nach Regelung von Aufenthaltsstatus und anderen Fragen – an einer Partnerhochschule weiter zu studieren und im Erfolgsfall den Bachelor-Abschluss zu erlangen. Ist dieses Modell nicht auch für andere Studierwillige geeignet?
Flucht als Studienfach?
In der Diskussionsgruppe „Flüchtlinge und Hochschulentwicklung“ wird gleich zu Beginn klar: Die Aktivitäten von Hochschulen zum Thema „Flüchtlinge“ haben die Leitbilder der Hochschulen zum Leuchten gebracht und damit auch für das Service Learning [1] neue Impulse gesetzt.
Das Thema aktiviert Hochschulen und stellt eine Chance dar, sich weiterzuentwickeln, insbesondere bezüglich des Themas der gesellschaftlichen Verantwortung von Hochschulen. So könnten auch andere, weniger prominente gesellschaftliche Themen von dieser Entwicklung profitieren. Die Frage „Was hätte sich an den Hochschulen geändert, wenn das Thema Flüchtlinge nächste Woche fallengelassen würde?„ hob die Entwicklungsfähigkeit von Hochschulen hervor: Angesichts brennender Themen und mit viel Engagement lässt sich sehr wohl vieles bewirken – zahlreiche Impulse zu Innovationen wurden bereits gesetzt.
Eine weitere Diskussionsgruppe mit dem herausfordernden Titel „Flucht als Studienfach“ beschäftigte sich mit der Idee, wie Fähigkeiten und Kompetenzen von Flüchtlingen für die Hochschulen nutzbar gemacht werden könnten. Eine ganz neue Sicht von Studiendisziplinen, eine neue Art der Vernetzung – von Disziplinen, Akteuren, regionalen Gruppen – ließ wiederum Visionen aufscheinen: Visionen von einer Hochschule, die sich zur Gesellschaft hin öffnet, die auf den gesellschaftlichen Wandel reagiert, neue Formen ausprobiert, als Labor für gesellschaftliche Innovationen genutzt werden kann – und die ihre gesellschaftliche Verantwortung aus den Leitbildern in die Tat umsetzt. Spannende Fragen und spannende Ideen!
[1] Service Learning: Konkrete zivilgesellschaftliche und gemeinwohlorientierte Herausforderungen und Problemstellungen werden im Rahmen von Lehrveranstaltungen unter Nutzung der Kompetenzen von Studierenden und Lehrenden bearbeitet. Die Lehrform Service Learning kann in allen Studiengängen und Disziplinen eingesetzt werden. Sie ermöglicht eine problem-und handlungsorientierte Lehre und eine Vertiefung wissenschaftlich-theoretischer Inhalte bei den Studierenden. Eine Form des Service Learnings an der Munich Business School ist die Soziale Projektarbeit im 2. und 3. Semester des Studienprogramms Bachelor International Business.