Im Rahmen des DBA-Programms fand an der MBS das Doktorandenseminar „Europe and the World“ statt. Hochaktuelle Themen rund um die Europäische Union waren dabei Gegenstand einer wissenschaftlichen, möglichst faktenbasierten Untersuchung anstehender Herausforderungen. Eines der Themen, mit denen sich die Doktorand(inn)en beschäftigten, war das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP.
800 Millionen Bürger wären betroffen, wenn die größte Freihandelszone der Welt zwischen Europa und den USA beschlossen wird. Befürworter sehen große Chancen für die beiden Wirtschaftsräume, da das Abkommen wirtschaftliches Wachstum und höhere Löhne verspricht. Gegner des Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP, bemängeln fehlende Transparenz während der nicht öffentlichen Verhandlungen, Gefahren für mittelständische Unternehmen, die Umwelt und die Verbraucher.
Verhandlungen seit 2013
Seit 2013 wird rund um das TTIP verhandelt. Der Plan ist, den Handel zwischen den USA und Europa zu erleichtern. Die EU-Kommission, angeführt von Chef-Unterhändler Ignacio Garcia Bercero, diskutiert in verschiedenen Fach- und Themengruppen, wie Handelshemmnisse abgebaut werden können.
Die Experten aus den USA, angeführt von Dan Mullaney, seines Zeichens Mitglied der US-Behörde für Europa und den Mittleren Osten, wollen ebenfalls Hürden abbauen. Aber oft kommen sich beide Seiten thematisch in die Quere. Heikle Punkte beim Angleichen sind etwa Lebensmittelbestimmungen und Umweltzertifikate, die auf einen gemeinsamen Standard gebracht werden müssten.
Wirtschaftlicher Warenaustausch
Was versprechen sich die Politiker vom TTIP? Viele Waren können aktuell nicht wirtschaftlich gehandelt werden, da Zölle, Bürokratie und unterschiedliche technische Standards den Warenaustausch zwischen den Kontinenten erschweren. Beispiele sind Blinker am Auto oder Verpackungen von Lebensmitteln. Beide sind in Europa und den USA nachgefragt. Da die Waren aber verschieden reguliert und genormt sind, ist es für Unternehmen nicht rentabel, ihre Waren anzupassen.
Solche Verschiedenheiten erschweren Unternehmen, sich auf bestimmte Produktionsschritte zu spezialisieren, die dadurch mögliche Kosteneinsparung bleibt aus. TTIP soll diese Problematik durch Angleichung der Märkte aus der Welt schaffen. (vgl. Johannes Sill, Ulm, 2014)
Free und Fair Trade sind mit TTIP möglich
Die aktuelle öffentliche Diskussion rund um TTIP mit Gegnern und Befürwortern hat ein Stimmungsbild erzeugt, das von den MBS Doktoranden intuitiv als eher negativ bewertet wurde. Vor allem die intransparenten Verhandlungen der TTIP-Vertragsparteien hinter verschlossenen Türen verursachten Misstrauen gegenüber dem Handelsabkommen. Um ein möglichst objektives Bild darüber zu bekommen, sollten wissenschaftliche Methoden ohne Berücksichtigung von Voreingenommenheit zur Untersuchung angewandt werden.
Nachdem es uns gelungen war, über einen TTIP-Leak an die Inhalte des Vertragstextes zu kommen, analysierten die Doktoranden methodisch potenzielle Folgen des geplanten Freihandelsabkommens zwischen den USA und der EU. Das Ergebnis war für alle überraschend: die Vereinbarung von Free Trade und Fair Trade auf Basis der Inhalte von TTIP ist möglich. Um dies situativ gewährleisten zu können, ist allerdings eine „lebende Vereinbarung“ erforderlich, die anpassbar sein muss, wenn ungewünschte, den sozialen Fortschritt gefährdende Effekte aus dem Ruder zu laufen drohen.
Als übergeordnetes Ziel von TTIP sollen hierbei nicht alleine die ökonomischen Vorteile im Fokus stehen, sondern vor allem der soziale Fortschritt, zum Beispiel in Form von Erhaltung bereits erzielter, hochwertiger Standards bei Nahrungsmitteln, im Gesundheitswesen und im Bereich der Ökologie.
Sozialer Fortschritt vs. Wirtschaftliche Interessen
TTIP kann des Weiteren als stabilisierender Faktor für die westliche Welt gesehen werden. Insgesamt entstünde eine erhebliche Freihandels- und Investmentpartnerschaft, die rund 50 Prozent des weltweiten Handels umfassen würde. Auf der anderen Seite würde daraus ein Übergewicht entstehen, das Staaten anderer Regionen benachteiligen würde. Die Verstärkung der Konzentration von Kapital könnte voranschreiten und so zu einer noch intensiveren sozialen Ungleichheit führen, die wiederum über verminderte Wettbewerbsfähigkeit von Entwicklungsländern in verstärkter Migration münden könnte.
Ein Mechanismus zur Verminderung solcher Disparitäten ist im Rahmen von TTIP unbedingt zu berücksichtigen, zum Beispiel in Form von „Foreign Direct Investments“ wirtschaftlich starker Staaten in solche sich entwickelnden Länder. Ebenso sind die Vereinbarungen aus dem Weltklimaabkommen von Paris in TTIP so zu integrieren, dass weiteres wirtschaftliches Wachstum entstehen kann, ohne dabei der Umwelt zu schaden.
Ein wichtiger kritischer Punkt, der im Rahmen des Seminars nicht gelöst werden konnte, ist der Investorenschutz ISDS (Investor-State Dispute Settlement), über den Investoren gegen Staaten klagen können, wenn durch Gesetzgebung wirtschaftliche Nachteile für den jeweiligen Investor entstehen. So besteht die Gefahr, dass Staaten beispielweise auf die Erlassung von wichtigen Gesetzen verzichten könnten, weil sie Klagen befürchten.
Insgesamt kommen die Doktoranden zu dem Ergebnis, dass eine auf breiter Basis akzeptable Vereinbarung im Rahmen der TTIP-Verhandlungen faktenbasiert denkbar ist, wenn der soziale Fortschritt vor rein wirtschaftlichen Interessen gestellt würde.