Verhandlungsmethoden als Kapitalismus in Action
„Wir brauchen die Freiheit, um den Missbrauch der Staatsgewalt zu verhindern, und wir brauchen den Staat, um den Missbrauch der Freiheit zu verhindern.“
Sir Karl R. Popper, Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde.
Wenn ich Studenten Vorlesungen oder Managern Trainings zu Verhandlungsstrategien gebe, schwingt häufig ein gewisser Gedanke mit: Eigentlich seien Verhandlungstechniken verwerflich – Profitmaximierung überhaupt sei böse. Verhandlungsmethoden werden häufig sogar von Managern, die Verhandlungstrainings buchen, als notwendiges Übel angesehen. Als mein Buch „DEAL!“ 2013 erschien, war sogar im konservativen CICERO zu erfahren, dass die Gesellschaftsordnung von Leuten bedroht wird, „die offenbar zu viel Jack Nasher gelesen“ hätten.
Dieser Verachtung von Verhandlungsstrategien liegt ein tiefes Missverständnis von Wirtschaft und vom Kapitalismus per se zugrunde: Die irrige Annahme, dass man nur dann etwas gewinnen kann, wenn der andere etwas verliert.
Dabei ist der Kern jeglicher Wirtschaft die Erschaffung von Mehrwert: Du hast eine Kutsche, ich habe Pferde – zusammen eröffnen wir ein Fuhrunternehmen.
Kooperation ist freiwillig im Kapitalismus, wie schon der überragende Ökonom Milton Friedman immer wieder hervorhob. Auch die besten Verhandlungsstrategien sind wertlos, wenn sich niemand für meine Ware interessiert. Nur wenn wir einen Wert erschaffen, wollen andere mit uns ins Geschäft kommen. Behandeln wir unseren Kunden schlecht, ist er weg. Genau wie unsere Mitarbeiter. Dieses Prinzip der freiwilligen Kooperation hat zusammen mit der modernen Marktwirtschaft den größten Wohlstand in der bekannten Menschheitsgeschichte erschaffen.
Die Schere von Arm und Reich ist eng wie nie
Noch vor knapp 100 Jahren war es normal, dass Arme im Winter barfuß auf der Straße elendig krepierten. Und nicht nur unser Wohlstand, auch die Gleichheit ist atemberaubend: Der Herr Rechtsanwalt lebt nicht mehr in einem Palais mit einem Dutzend Dienstboten, sondern in einer Zweizimmerwohnung – und begegnet dem Parkwächter abends in der Bar. Die Schere von Arm und Reich ist eng wie nie.
Trotz dieser Erfolge wird der Kapitalismus verachtet. Kurioserweise nicht nur von wirtschaftlich unbedarften Populisten, sondern sogar von Akteuren mittendrin: Gestandene Manager haben ein schlechtes Gewissen, profitorientiert zu handeln, und tun Buße, indem sie einer „sozialen Verantwortung“ gerecht werden wollen. Dabei besteht ihre moralische Verantwortung darin, wie Friedman es ausdrückte, das zu tun, für das sie bezahlt werden, in der Regel ihren Arbeitgeber profitabel zu machen. Verfechter der „Corporate Social Responsibility“ werfen damit ein schlechtes Licht auf eine der wichtigsten Institutionen der offenen Gesellschaft.
Die Bedeutung einer profitablen Wirtschaft ist von unschätzbarem Wert; jeder Staat ohne eine solche geht zugrunde. Der österreichisch-britische Philosoph Sir Karl Popper (1902-1994) zeigte, dass Demokratie nur dann überhaupt möglich ist, wenn Macht verteilt ist. Zentralisierte Macht nämlich, also die Lenkung des scheinbar wohlwollenden Staates, führt stets zu einem Machtmissbrauch – ob früher oder später.
Abseits vom Kapitalismus ist Freiwilligkeit unmöglich
In einer freien Wirtschaft mit unzähligen Teilnehmern ist Macht auf unzählige Akteure verteilt. Wenn ich etwa ein Verhandlungstraining für Audi gebe, aber gefeuert werde, weil ich nicht mit deren Unternehmensphilosophie konformgehe, kann ich bei Daimler vorsprechen oder bei etlichen anderen. Abseits vom Kapitalismus aber gibt es keine anderen, es gibt nur einen, den Staat – Freiwilligkeit ist unmöglich. Wenn ich Staatsbetrieb A nicht passe, brauche ich es bei Staatsbetrieb B gar nicht erst versuchen.
Was möchte ich damit sagen? Eine funktionierende Wirtschaft ist kein notwendiges Übel, sondern vornehmste Ausprägung der Freiheit und Offenheit unserer Gesellschaft. Sie macht die Demokratie stark, die auf den Erfolg möglichst vieler Institutionen angewiesen ist, und sie hat quasi nebenbei den größten Wohlstand der bekannten Menschheitsgeschichte erschaffen.
Möchte man sittliche und moralische Regeln formulieren, dann bedeutet es für den Einzelnen eine ethische Verpflichtung, die gesellschaftliche Institution der Wirtschaft zu stärken. Das Erlernen von Verhandlungsstrategien und Verhandlungsmethoden ist dazu einer der Schlüssel, denn sie sind Kapitalismus in Action.