Wissenschaftliches Arbeiten (Teil 3): Wissenschaftssprache

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„[Die traditionelle Unternehmensbudgetierung] ermutigt Führungskräfte zu lügen und zu betrügen […].“[1] Ein solcher Satz ist ein starkes Stück mit drastischen Vorwürfen und selbstverständlich nicht für einen wirtschaftswissenschaftlichen Text geeignet. Zum einen liegt dies an den Vorwürfen selbst, die in dieser Generalisierung nicht belegt werden können. Ist es jedoch auch der Stil, der die Arbeit damit disqualifiziert?

Der Gebrauch von Sprache hat viele Wirkungen. Einige werden angestrebt und ganz oder teilweise  erreicht. Andere sind den Sprechern nicht bewusst oder werden erst durch Reaktionen des Publikums deutlich.

Texte – gesprochen oder geschrieben – können einnehmen durch die Klarheit ihrer Argumente oder durch kunstvolle Überredung. Sie können abstoßen durch rüden Ton, Ausdrücke von Aggression und Intoleranz. Sie können langweilen durch umständliche Satzkonstruktionen, verwirren durch unklare Bezeichnungen, verärgern durch misslungene Schlussfolgerungen.

Wer also durch Sprache positive Wirkungen erzielen möchte, muss nicht nur die Inhalte gut bedenken, nein, die gewählte Sprache spielt ebenso eine große Rolle. Und so wie man im Lauf des Lebens Lifestyle entwickelt (den kann man schließlich nicht kaufen), sollte man auch eigenen Sprachstil ausformen und „stilsicher“ verschiedenen Situationen der sprachlichen Auseinandersetzung mit anderen Menschen anpassen können. Wissenschaftler sprechen gemeinhin nüchterner als Poeten und Romanciers, Journalisten nicht so spröde wie Juristen, Verliebte zärtlicher als Verheiratete (Vorsicht: Klischee!).

Worin besteht guter Sprachstil?

Grundvoraussetzungen für einen guten Sprachstil sind natürlich der Satzbau und die Grammatik, die standardsprachlichen Regeln, die der Norm entsprechen müssen. Verständliche Formulierungen (sein Zielpublikum muss man hierfür genau ins Auge nehmen) und logische Argumentation in möglichst eleganter Wortwahl kommen hinzu. Die Kunst ist, Kompliziertes einfach auszudrücken, Einfaches sowieso. Wenn der Grad der Einfachheit dem anzusprechenden Publikum und der Situation entspricht, ist viel gewonnen, wobei ein homogenes, leicht einzuschätzendes Publikum natürlich eine Idealvorstellung ist.

Wie sprechen bestimmte Berufsgruppen?

Sprache als Medium im Beruf eingesetzt soll – neben dem Übermitteln von Botschaften – beeindrucken, wenn nicht gar überzeugen. Gute und logische Argumentation, unterstützt durch rhetorische Künste und einnehmendes Auftreten, hilft, in Politik, Medienbetrieb und Wirtschaft erfolgreich zu sein. Marketing-„Sprech“ soll in der Psyche von potenziellen Kunden Anker werfen, Juristendeutsch soll absichern, keine Anhaltspunkte für argumentative Aushebelung der eigenen Thesen bieten. In Kabarett und Schauspiel soll dagegen oft die Mehrdeutigkeit von Sprache die gewünschte Wirkung erzielen. Wohin gehöre denn nun ich, der wissenschaftlich tätige Mensch?

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Das einnehmende Auftreten von Personen ist im Wissenschaftsbetrieb allenfalls in der Lehre ein Aktivum. Wissenschaftliche Ausarbeitungen müssen keine rhetorischen Glanzstücke darstellen, in denen kunstvolle Sprache den Inhalt in den Hintergrund drängt. Mehrdeutigkeiten müssen in der Wissenschaft ausgeschlossen, lernpsychologische Wirkungstreffer dagegen sollen durchaus erzielt werden (Steigerung von Merkfähigkeit durch Gliederung und Verwendung von Schlüsselwörtern, Veranschaulichung durch Beispiele, Konkretisierung von Vorschlägen, …). Auch Parallelen zur Sprache von Juristen oder Medizinern kann man finden: Die Verwendung wissenschaftlicher Fachbegriffe und die klare Definition gewählter Begriffe sowie eine strikte Themenbegrenzung zielen auf die Absicherung gegen Missverständnisse und Unvollständigkeit durch Verwendung eindeutig bestimmter oder unbestimmter Rechtsbegriffe oder medizinischer Fachsprache.

Welche Sprache ist wissenschaftlichen Arbeiten angemessen?

Wissenschaftssprache ist nicht parteinehmend, sondern möglichst objektiv. Wer versucht, Wissen zu vermitteln oder sogar Wahrheit zu erforschen, spricht oder schreibt klar, folgerichtig und widerspruchsfrei. Wert gelegt wird auf Vollständigkeit und Genauigkeit bei der Behandlung des gewählten Themas.

Der darzustellenden wissenschaftlichen Vorgehensweise angemessen ist eine sachliche Sprache. Man wendet sich an ein Fachpublikum, das mit Fachtermini vertraut ist, und schreibt und spricht in einer Sprache, die vorhandenes Fachwissen oder zu verallgemeinernde Sachverhalte in Begriffen zusammenfasst, die in der allgemeinen Sprache durchaus andere Bedeutungen haben oder nicht verstanden werden können. Für die eigene Argumentation wichtige Begriffe müssen präzise definiert und mit einheitlicher Bedeutung verwendet werden. Die konsequente Verwendung einheitlicher Begriffe ist ein bedeutsames Merkmal von Fachsprache – anders als in der Literatursprache, in der gerade die Abwechslung attraktiv ist und ein wichtiges Stilmerkmal darstellt.

Um komplizierte, in Handwörterbüchern der jeweiligen Fachdisziplin ausführlich beschriebene Fachtermini kommt man i.d.R. nicht herum. Trotzdem kann man verständlich bleiben durch Erläuterung der Begriffe in Fußnoten oder Nebensätzen, Glossaren oder Texteinschüben. Vorsicht jedoch mit Erklärungen von in der Disziplin allgemein bekannten Fachbegriffen: Der Leser eines betriebswirtschaftlichen Artikels kommt sich nicht ernst genommen vor, wenn etwa die Abkürzung GmbH im Glossar erklärt wird. Die Logik der Gedankenführung gilt es durch geläufige, eindeutige und rein sachlich ausgerichtete Formulierungen herauszuarbeiten. Die Person des Autors ist im wissenschaftlichen Text fast immer anonym, persönliche Überzeugungen oder Erlebnisse sind als nicht sachgemäß zu betrachten.

Welche Regeln gibt es für gute Wissenschaftssprache?

Einfache Sprache verwendet meist kurze Sätze. Thomas Mann ist berühmt für kunstvoll verschachtelte, lange Sätze, aber er schrieb Romane. Klarer werden Sätze durch das Weglassen von Füllwörtern. „Nämlich“, „selbstverständlich“, „natürlich“ oder „sozusagen“ sind fast immer überflüssig, zusätzlich sollen sie den Lesern die Stimmigkeit von Argumenten vorspiegeln. „Immer, „alle, „stets“ verallgemeinern und das oft unzulässig. Bei Zitaten hilft es, sich vom Text der Quelle zu distanzieren, indem man den Inhalt des Quellentextes mit eigenen Worten auf das Wesentliche zusammenfasst. Viele Adjektive plustern einen Text oft auf, präzisieren die Aussagen aber nicht unbedingt. Der Einsatz von Sätzen ohne neue Aussage sollte auf die notwendigen Funktionen wie Einleitungen, Überleitungen, Zusammenfassungen beschränkt werden.

Ein guter Text lädt ein zum Lesen, er macht neugierig. Sprechende Überschriften, in Schlagworten zusammengefasste zentrale Aussagen und anschauliche Beispiele oder Berechnungen machen einen Text lebendig und steigern die Merkfähigkeit. Der Nominalstil dagegen (… es wurde eine Untersuchung durchgeführt …) wirkt umständlich und bürokratisch, ebenso sollten mehrfach zusammengesetzte Substantive vermieden werden (Migrationsproblemlösung).

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Fremdwörter benutzt man nur, wenn sie etwas besser beschreiben als ein deutscher Begriff. Natürlich kommen in wissenschaftlichen Fachbereichen auch Fachbegriffe aus anderen Sprachen vor, meist aus dem Englischen. Niemand muss „Cashflow“ durch „Zahlungsüberschuss“ ersetzen. Aber man kann es mit dem Englischen auch übertreiben, besonders bei der Übernahme englischer Wörter ins Deutsche (z.B. supporten):

„Mein Leben ist eine giving-story. Ich habe verstanden, dass man contemporary sein muss, das future-Denken haben muss. Meine Idee war, die hand-tailored-Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, dass man viele Teile einer collection miteinander combinen kann. Aber die audience hat das alles von Anfang an auch supported. Der problembewusste Mensch von heute kann diese Sachen, diese refined Qualitäten mit spirit eben auch appreciaten. Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wer Ladyisches will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muss Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils.“ (Jil Sander, zitiert nach FAZ vom 22. März 1996).

In die geschriebene Sprache sollten sich keinesfalls Modebegriffe oder -ausdrücke (Erwartungshaltung, auf Augenhöhe, …) Umgangssprache (cool), schiefe Metaphern (das soziale Netz wird weiter durchlöchert …) und Grammatikfehler (in 2016, in keinster Weise, …) einschleichen.

Der Autor als Person sollte in wissenschaftlichen Arbeiten, speziell hochschulinternen, nur auf dem Titelblatt und in der eidesstattlichen Versicherung vorkommen. Etablierte Wissenschaftler dagegen formulieren schon einmal ihre persönlichen Überlegungen zu ihrer Methodik als Forscher-Ich. Die angebrachte Vermeidung der Ich-Form bringt allerdings die Schwierigkeit mit sich, dass man manchmal schwerfällig klingende Passivformen unvermeidlich finden wird („es wurde untersucht“ statt „ich habe untersucht“).

Eine begrenzte Seitenzahl zwingt dazu, Wesentliches möglichst klar und kurz zu formulieren. Verkürzen kann man Texte sehr einfach, indem man etwas weglässt oder – kürzer – durch Weglassen. Das kann ohne inhaltliche Verkürzung oder Bedeutungsverlust geschehen, indem man einen Nebensatz in ein Nomen umformt – durch Nominalisierung. Sie ist ein typisches Merkmal von Fachsprachen: Die Aktion wird von Verben in Nomen verlagert, dadurch wirkt der Stil distanzierter, nüchterner, unpersönlicher – und leider oft auch schwerer verständlich!

Nominalisierung als auch Passivierung führen schnell zu einer Sprache, die man oft in der öffentlichen Verwaltung findet und als leblos und bürgerfern kritisiert. Solche Sprache lässt sich leicht parodieren, wie z.B. in „Rotkäppchen auf Amtsdeutsch“ von Thaddäus Troll: „Im Kinderanfall unserer Stadtgemeinde ist eine hierorts wohnhafte, noch unbeschulte Minderjährige aktenkundig, welche durch ihre unübliche Kopfbekleidung gewohnheitsmäßig Rotkäppchen genannt zu werden pflegt. Der Mutter besagter R. wurde seitens deren Mutter ein Schreiben zugestellt, in welchem dieselbe Mitteilung ihrer Krankheit und Pflegebedürftigkeit machte und selbiger R. die Auflage machte, der G. eine Sendung von Nahrungs- und Genußmitteln zu Genesungszwecken zuzustellen.“[2]

Die Knappheit und Lesbarkeit eines Textes sind begrüßenswerte Eigenschaften, nicht nur in der Wissenschaft. Allerdings sind sie manchmal nur schwer vereinbar mit den Anforderungen der Vollständigkeit und Präzision. Wo ein geübter Artikelschreiber ihn störende Fakten oder Argumente auslässt oder rhetorisch abschwächt und damit einen griffigen, kurzen Kommentar oder eine Glosse schreibt, ist das in einer Abschlussarbeit unzulässig. Wissenschaftspublikum will nicht überredet, sondern von der „Wahrheit“ des Textes überzeugt werden. Die Verfasser von Abschlussarbeiten an Hochschulen haben genau diesen Spagat zu leisten: ein Thema vollständig und genau, aber in einem im Umfang strikt begrenzten Format abzuhandeln. „Wissenschaftliche Prosa ist genau, also unbequem für den Autor, und einfach, also bequem für den Benützer (…)“ (Hempel, dt. Historiker und Träger des Sigmund-Freud-Preises für wissenschaftliche Prosa 1985).

 

[1] Aus der Seminararbeit eines anonymen Studenten 2017.
[2] Troll, Thaddäus (1984). Rotkäppchen auf Amtsdeutsch, in: Die Zeit vom 21.12.1984, Ausgabe 52. abgerufen von: http://www.zeit.de/1984/52/rotkaeppchen-auf-amtsdeutsch.

 

Literatur:

  • Deml, Isabell (2015). Gebrauchsnormen der Wissenschaftssprache und ihre Entwicklung vom 18. bis zu 21. Jahrhundert. Dissertation. Regensburg.
  • Jackob, Nikolaus: Die Kunst des Einfachen: Zehn Vorschläge für einen guten wissenschaftlichen Schreibstil, in: Fachjournalist, Heft 2, 2010, S. 16-21.
  • Schneider, Wolf (1987). Deutsch für Kenner. Hamburg.
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Gabriella Maráz ist Professorin für Interkulturelles Management und Methodenlehre mit den Schwerpunkten Informations- und Kommunikationspsychologie und Arbeitstechniken.
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Prof. Dr. Zirus studierte Betriebswirtschaft in Regensburg. Er arbeitete einige Jahre für die Dresdner Bank (Kreditrevision) und machte sich dann als freier Dozent selbständig. In dieser Funktion arbeitete er auch für die Munich Business School, zunächst selbständig, dann als angestellter Dozent. Er promovierte berufsbegleitend an der LMU München über problemorientierte Lernumgebungen. Heute ist Prof. Zirus an der MBS Modulleiter und Dozent für finanzwirtschaftliche Fächer. Er arbeitet daneben weiter als selbständiger Dozent.