Jeder Sportbegeisterte kennt und liebt sie: jene Momente, wenn ein Stadion zum größten Chor der Welt wird, eine ganze Nation sich spontan wie ein Mann erhebt, wenn sich Kulturen offenbaren und gegnerische Teams eingeschüchtert werden… Sportfans geben alles dafür, um solche Momente zu erleben.
„You’ll never walk alone“, angestimmt von „The Kop“ in Liverpool, „The Flower of Scotland“ (vor allem vor Spielen gegen englische Mannschaften), der „All Blacks Haka“ oder der „Tomahawk Chop“ der Atlanta Braves – gäbe es eine Hall of Fame des Fan Engagement, all diese Fan-Rituale wären darin vertreten. Menschen aus aller Welt wollen diese Momente miterleben und Fans anderer Sportarten, anderer Teams und anderer Nationen beneiden sie glühend darum.
Wenn Sie eine Sportorganisation leiten und die Spiele Ihres Teams zu unvergesslichen Erlebnissen machen möchten – was würden Sie tun?
Die AFL (die Australian Football League) ist die Profiliga mit dem vierthöchsten Zuschauerschnitt weltweit, hinter der NFL (der US-amerikanischen Football-Profiliga), der englischen Premier League und der deutschen Bundesliga. Die AFL-Führung tut derzeit vieles, um die Liga besonders spektakulär und spannend zu machen – ein Vorstoß, der ganz auf das Spieltagserlebnis ausgerichtet ist.
Führend bei diesem Vorstoß ist der Port Adelaide Football Club, bekannt als „The Power“. Die Mannschaft spielt im Durchschnitt vor knapp 40.000 Zuschauern und gilt in den Medien als Nr. 1 in Sachen Entertainment-Angebot an den Spieltagen, weil der Club das leidenschaftliche Engagement der Fans unterstützt und das beste Spieltagserlebnis aller Teams in der Liga bietet, mit einem hohem Unterhaltungsfaktor.
Allerdings war das nicht immer so. Noch vor fünf Jahren hatte die Mannschaft damit zu kämpfen, an kalten Winterabenden wenigstens 20.000 Zuschauer in ihr Stadion zu bekommen. Der Umzug in ein neues, modernes Stadion war ein großer Schritt nach vorn. Doch entscheidend war, dass es dem Club gelang, seine bestehenden Fans „abzuholen“ und gleichzeitig neue Fans zu gewinnen.
Wie kann man das Fan Engagement so aktivieren, dass daraus Fan-Rituale mit Kultstatus entstehen?
Matthew Richardson, Executive General Manager beim Port Adelaide Football Club, erläutert: „Bei jedem Heimspiel gibt es Momente, die wir in den letzten Jahren zu Ritualen mit Kultstatus haben entwickeln können. Sie prägen das Erlebnis dieser Spieltage für unsere Fans und ziehen mittlerweile Leute aus dem ganzen Land an, die diese Events miterleben wollen.“
Einer dieser Momente ist der „Supporters March“. Er wurde 2014 vom Club und dem harten Kern der Fans eingeführt und ist für die Anhänger von Port Adelaide fester Bestandteil eines jeden Spieltages.
„Die Parade beginnt mit ein paar hundert Fans in der Stadt, etwa einen Kilometer entfernt vom Stadion. Sie schlängelt sich dann durch die Stadt und über die Fußgängerbrücke, die zum Adelaide Oval, dem Stadion, führt. Und auf dem Weg dorthin kommen Tausende von Fans dazu.
Bei einem Playoff-Spiel im Jahr 2014 im 800 km entfernten Melbourne Cricket Ground, dem größten und symbolträchtigsten Stadion Australiens, kamen über 15.000 Anhänger zur Parade.
Das war unglaublich! Dieser Moment ist für viele wirklich zum festen Spieltagsritual geworden. Man trifft sich an verschiedenen Punkten, bringt Freunde und Familie mit, genießt den Spaß, den Glanz und die Atmosphäre und stimmt sich so auf das Spiel ein.“
Die Parade griff das unerfüllte Bedürfnis der Anhänger von Port Adelaide auf, ihren Stolz auszudrücken gegenüber dem (traditionell stärkeren) Lokalrivalen, dem Adelaide Football Club. In einer footballverrückten Stadt mit zwei Mannschaften ist dies für viele Fans eine Gelegenheit, die sie nicht missen wollen.
Der zweite Moment ist der 60-Sekunden-Countdown vor dem Anstoß. Bis zu 50.000 Anhänger erheben sich unisono, halten ihre Schals über ihre Köpfe und singen ihre Hymne, den 80er Aussie-Rock-Klassiker „Never Tear Us Apart“ von INXS. In Konkurrenz zu „You’ll Never Walk Alone“ der Liverpool-Fans sind dieser Song (mit australischem Dialekt gesungen) und eben dieser Moment zu einem der großartigsten Rituale im australischen Sport geworden.
„Beim Umzug in das Adelaide Oval, unsere neue Spielstätte, wollten wir für unsere Fans ein Ritual erschaffen. Aber damit es funktionierte, musste es echt sein, ehrlich und authentisch, und unseren Fans wirklich etwas bedeuten. Nach neun Monaten Brainstorming, Thinktanks und Workshops fand unser Eventmanager die richtigen Worte – in einem der größten australischen Songs, ‚Never Tear Us Apart‘ von der australischen Band INXS.
‚Never Tear Us Apart‘ bezieht sich auf die Geschichte des Clubs, der eine Zeit lang in zwei Clubs aufgeteilt war: Es gab den Port Adelaide Football Club in der AFL (der höchsten Spielklasse) und die Port Adelaide Magpies, die in der SANFL (der zweithöchsten Spielklasse) spielten. Das führte zu einem Bruch im Club und zwischen den Anhängern. Erst 2012 schloss man sich wieder zu einem Club zusammen.
‚Never Tear Us Apart‘ spielt darauf an, dass der Club und seine Anhängerschaft ja tatsächlich ‚auseinandergerissen‘ waren, was fast zum Ende des Clubs geführt hätte.“
Wie erschafft man solche Rituale, ohne sie den Fans aufzuzwingen?
„Beim ersten Spiel im renovierten Adelaide Oval im März 2014 beschlossen wir, den Song als 60-Sekunden-Countdown vor dem Anstoß zu spielen und abzuwarten, wie die Fans reagieren würden. Es dauerte etwa 20 Sekunden, dann stiegen sie ein. Zum Schluss hatten sich alle erhoben und sangen mit – der Moment war da.
Wir haben das Ganze dann organisch wachsen lassen und haben Zug um Zug die Lautstärke so weit reduziert, dass man die Fans singen hören konnte. Die Magie dieses Moments liegt jetzt darin, dass er den Fans gehört. Es ist ihr Moment. Das mussten sogar INXS selbst verstehen, als sie in der darauffolgenden Saison den Song bei einem Playoff-Spiel spielten; unsere Fans hielten ihnen entgegen: ‚Das ist unsere Hymne, nicht eure!‘“
Der Erfolg solcher Rituale wird dann offensichtlich, wenn sie fester Bestandteil im Alltag der Menschen werden.
„Ich war bei vielen Begräbnissen, wo sich die Hinterbliebenen gegenseitig umarmten und gemeinsam Abschied nahmen, und ‚Never Tear Us Apart‘ gespielt wurde. An Momente wie diese erinnern sich Familien bis in alle Ewigkeit, wenn sie zusammenkommen, um ihre Mannschaft zu unterstützen. Und dieser Moment wird dann für die Leute immer bedeutender – es ist viel mehr als nur Fan Engagement.
Diese Beispiele zeigen die schönste Form von Fan Engagement. Der Schlüssel dafür ist, dass den Menschen, die an der Parade teilnehmen oder den Song mitsingen, diese beiden Momente wirklich etwas bedeuten. Sie sind authentisch und sie gehören den Fans. Darin liegt die Kunst: Etwas wirklich Substanzielles zu schaffen und nicht nur irgendeinen Schnickschnack für Fans.
Darin liegt auch die großartige Kraft des Sports… wir können die Emotionen ansprechen, und wenn wir das für tausende Menschen gleichzeitig und an einem Ort tun, dann ist das ein unglaublich tolles Gefühl.
Beide Rituale sind nun wirklich keine neuen Ideen und es gibt überall auf der Welt fantastische Beispiele dafür, wie man Fan Engagement aktivieren kann. Aber wenn Sie unsere Fans fragen, dann sagen sie: ‚Das ist unser Moment‘. Das ist etwas Besonderes für sie und für unsere Mannschaft. Es geht darum, dass es für unsere Fans authentisch ist und ihnen etwas bedeutet. Wenn man das nutzt, wird es zum Selbstläufer, das ist der wichtigste Aspekt. Diese Momente passieren dann einfach.“
Einige Tipps, wie man unvergessliche Fan-Momente mit Kultstatus erschaffen kann
- Die Momente müssen authentisch sein und den Fans wirklich etwas bedeuten. Sie müssen natürlich sein, man kann sie nicht erzwingen oder den Fans aufs Auge drücken. Wenn man die Fans zu etwas auffordert, passiert es häufig, dass sie das genaue Gegenteil tun oder sich komplett widersetzen.
- Die Momente müssen den Fans gehören. Man muss zulassen, dass sie hier und dort aufgegriffen werden und sich dann organisch entwickeln bis zu dem Punkt, an dem sie eine Bedeutung für den Einzelnen gewinnen.
- Werfen Sie einen Blick auf die Geschichte Ihrer Organisation oder die Traditionen und Rituale Ihrer Fans. Vielleicht kommen Sie so auf eine zündende Idee.