Wirtschaftsethik – Anspruch und Wirklichkeit (Teil 6a): „Moderne“ Sklaverei und Kinderarbeit

Zwei Hände, die einen handbeschriebenen Karton mit dem Wort "Ethics" halten

Im mittlerweile sechsten Teil unserer Reihe Wirtschaftsethik – Anspruch und Wirklichkeit beschäftigt sich Prof. Schäffner mit dem wirtschaftsethisch diskussionswürdigen Sachverhalt der „modernen“ Sklaverei und im Speziellen der Kinderarbeit.


Die polarisierende Auffassung „Der Mensch ist Mittel. Punkt.“ oder „Der Mensch ist Mittelpunkt.“[i] ist im Zuge des globalen Wettbewerbs (wieder) ein zentrales Thema geworden. Menschenwürde und ökonomische Interessen bleiben konfligierende Ziele unter dem Postulat der Gewinnmaximierung.

„Die Definition der Arbeit darf demzufolge nicht nur die Produktion von Gütern berücksichtigen, sondern verweist vielmehr auf die qualitative Daseinsform des Menschen und soll daher in ihrem Stellenwert auf den ganzheitlichen Lebenszusammenhang des Menschen bezogen gedacht werden.“[ii]

„Moderne“ Sklaverei

Sklaverei bezeichnet als Zustand absoluter Unfreiheit, Rechtlosigkeit und tendenzieller Entmenschlichung der ihr Unterworfenen die intensivste Form zwischenmenschlicher Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse. Dabei ist die Sklaverei keinesfalls ein rein historischer Erkenntnisgegenstand, der lediglich eine bestimmte, längst vergangene Epoche der Menschheitsgeschichte kennzeichnet, sondern stellt sehr wohl auch ein aktuelles sozialpathologisches Phänomen dar.“[iii]

Alle existierenden Formen von Unfreiheit sind überhaupt nur bekämpfbar, weil die Sklaverei – fast überall – verboten ist. Ansonsten gäbe es keine Chance, Formen der Unfreiheit zu bekämpfen, für die sich immer Rechtfertigungen finden lassen – nämlich aus „kultureller Besonderheit“.[iv]

Werteanspruch

Artikel 4 der Menschenrechte[v] unterscheidet zeitgemäß zwischen Sklaverei und „sklavereiähnlichen Verhältnissen“, also Ausbeutungsformen, bei denen irgendwer dem*der bzw. den Betroffenen zustehende Rechte beschneidet, also illegal handelt. Derartige Illegalität ist nur dann möglich, wenn kriminelle Strukturen mittels Drohungen und/oder Korruption die Verfolgung verhindern oder zumindest erschweren.

„Ales [hat] entweder einen Preis, oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes, als Äquivalent, gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde. Was sich auf die allgemeinen menschlichen Neigungen und Bedürfnisse bezieht, hat einen Marktpreis […]; das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß einen relativen Wert, d. i. einen Preis, sondern einen innern Wert, d. i. Würde.“

Kant

Werterealität

Knapp zwei Drittel der geschätzten 40,3 Millionen „moderner Sklaven“ sind in der Asien-Pazifik-Region vorzufinden. Entscheidend ist deshalb, die Beschäftigungsverhältnisse in globalen Lieferketten (supply chain) zu fokussieren um nachhaltige Verbesserungen zu bewirken.[vi] Da der Markt keine Moral besitzt und nur bedingt globale Regeln bzw. Gesetze herrschen, ist Moral in die Märkte zu bringen und es ist an den Unternehmen, ihrer Corporate Responsibility gerecht zu werden.

„An die Selbstheilungskräfte des Marktes glaubt kaum jemand“[vii], und Verantwortung ist nur durch Regeln und nicht durch moralische Appelle zu erreichen (Blessing), ebenso wie gute Corporate Governance in Zukunft eher von der Politik als nur von den freiwilligen Selbstkontrollen der Wirtschaft erreicht werden kann.[viii]

Kinderarbeit

Zwei Erscheinungsformen der „modernen“ Sklaverei sind bezüglich einer verantwortungsvollen Unternehmensführung besonders herauszuheben: Kinderarbeit und Ausbeutung.

Werteanspruch von Kinderarbeit

Als Kinderarbeit gelten nach UN Kinderrechtskonvention schädliche und/oder am Schulbesuch hindernde Tätigkeiten von Menschen unter 18 Jahren (KRK, Art. 32).[ix]

Die International Labour Organisation definiert Kinderarbeit als Arbeit von Kindern unter 13 Jahren. Dabei unterscheidet die ILO häufig zwischen „child work“ (jegliche Kindertätigkeit, also auch die einfachere Hausarbeit mit einem Lernwert) und der „child labor“.[x]

Nachdenklich sollte dennoch stimmen, dass die Beweggründe für Verbesserungsmaßnahmen oft „heuchlerisch“ sind, wie die Geschichte immer wieder zeigt.[xi]

Werterealität von Kinderarbeit

Kinderarbeit ist in den meisten Ländern gänzlich verboten, wird jedoch meist stillschweigend hingenommen bzw. Firmen bestechen oftmals, um eine rechtliche Verfolgung zu verhindern. Allerdings ist die Hauptursache für Kinderarbeit Armut und eine solche gibt es auch in Europa.[xii]

Die UN Labor Agency geht von 218 Millionen unzulässig arbeitender Kinder weltweit aus, darunter knapp 50 % Mädchen, wovon wiederum mehr als die Hälfte gefährliche Arbeit verrichten, Arbeit in Minen, insbesondere aber Prostitution.

UNICEF Kinderarbeit weltweit
Abbildung: Kinderarbeit weltweit (© UNICEF)

Ohne das spärliche Einkommen der Kinder könnten viele Familien gar nicht überleben. D.h., Kinderarbeit lässt sich sinnvoll nicht einfach mit einem Verbot bekämpfen.[xiii] 

Beispiele für Kinderarbeit in der Wirtschaft

McDonald’s

Man fand 2000 heraus, dass in einer chinesischen Fabrik Kinder das Happy-Meal-Spielzeug herstellen. Mehr als 100 Kinder im Alter von 12 Jahren waren 8 Stunden täglich mit einem Lohn von umgerechnet 1,49 €/Tag damit beschäftigt, das Spielzeug für die westeuropäischen Kinder herzustellen.[xiv] Als dieser Skandal bekannt wurde, kündigte McDonald’s den Kindern und setzte diese samt Familie auf die Straße.

H&M

H&M erhält seine Ware von etwa 700 Zulieferern, wobei ca. 60 % aus Asien stammen.
Vor allem auf den Baumwollplantagen, in Ländern, in denen die rechtliche Lage bezüglich Kinderarbeit nicht klar definiert ist[xv], werden viele Kinder als günstige Arbeitskräfte genutzt. Dadurch, dass die Wertschöpfungskette in keiner Hinsicht kontrolliert wird, wird jegliche Verantwortung für diesen Prozess schlicht auf die Zulieferer verlagert.

Kakao

Europäer*innen essen 15 Milliarden Tafeln Schokolade im Jahr.[xvi] Auf den meisten Kakao-Plantagen herrscht Sklaverei, vor allem an der Elfenbeinküste, wo Kinder jeden Tag über die Grenzen geschmuggelt werden. Die verantwortlichen Firmen exkulpieren sich, indem sie argumentieren, dass sie die Plantagen nicht besitzen und sie deshalb mit der Kinderarbeit nichts zu tun haben.
Durchschnittlich etwa 6 Cent von einer Tafel Schokolade, so haben NGOs berechnet, bekommen Kakaobauer für ihre Arbeit. Um ein menschenwürdiges Leben zu führen, brauchen sie das Dreifache. Viele Verbraucher*innen würden diese Differenz von 12 Cent gerne zahlen, wenn sie sicher sein könnten, dass das Geld auch wirklich den Bauern zugutekommt.

Palmöl

Palmöl ist noch beliebter als Raps- und Sonnenblumenöl. Es wird zum Beispiel für Cremes, Margarine, Duschgel, Kerzen und Kosmetik genutzt. Das Problem bei Palmöl ist nicht nur die Kinderarbeit, sondern auch die Abholzung von Regenwäldern. Mit gutem Beispiel voran geht Ferrero. Mit ihrer Marke Nutella haben sie sich dazu entschieden, Palmöl nur aus zertifizierten Plantagen in Malaysia zu beziehen.

Bananen

Für den Anbau und die Ernte von Bananen wird in vielen Ländern den Arbeiter*innen nicht einmal das Existenzminimum für eine Familie an Lohn gezahlt. Hier tragen die Kinder täglich die doppelte Menge ihres eigenen Gewichtes und sind mit Pestiziden belasteten Blättern ausgesetzt. Chiquita hat sich entschieden, dagegen vorzugehen, indem es Mitglied der Rainforest Alliance[xvii] geworden ist.

Kobalt

Der CO2-Ausstoß, der bei Produktion und Entsorgung von Komponenten für E-Autos entsteht, ist die eine Problematik. Die andere sind die Rohstoffe, die insbesondere für die Batterietechnologie plötzlich in großen Mengen gebraucht werden. So hat der Nachfrage-Boom nach Kobalt dazu geführt, dass der Preis für den Rohstoff zwischen 2016 und 2017 um 120 Prozent gestiegen ist. Kobalt wird zu 60 Prozent im Kongo abgebaut. Dort aber sind laut Amnesty International bereits Kinder im Alter von sieben Jahren unter teilweise lebensgefährlichen Bedingungen in den Minen beschäftigt.
Daimler hat nun das Human Rights Respect System vorgestellt, mit dem der Konzern Menschrechtsverstöße in der Lieferkette eindämmen will. Das System soll bis 2020 flächendeckend etabliert sein. Dafür hat der Konzern 50 Rohstoffe identifiziert, bei denen das Unternehmen die Lieferkette transparent machen und regelmäßig überwachen will. Es umfasst die systematische Prüfung potenzieller Menschenrechtsrisiken, das Definieren der erforderlichen Maßnahmen, um die Risiken zu minimieren, sowie die Evaluation der Umsetzung und ein umfassendes Reporting.[xviii]

Grabsteine

„Der nordrhein-westfälische Landtag hatte 2014 das NRW-Bestattungsgesetz geändert und die Aufstellung von Grabsteinen aus Ländern verboten, in deren Natursteinsektor gegen die völkerrechtliche ILO-Konvention bezüglich ausbeuterischer Kinderarbeit verstoßen wird. Steine aus solchen Ländern dürfen nur Verwendung finden, wenn sie als kinderarbeitsfrei zertifiziert wurden. Die Umsetzung des Gesetzes wurde aber per Verordnung ausgesetzt, weil Unklarheit darüber bestand, für welche Lieferländer die Zertifizierungspflicht gelten solle.“[xix]

Weiter zu: Teil 6b – "Moderne Sklaverei" und Ausbeutung

Alle Teile der Reihe Wirtschaftsethik - Anspruch und Wirklichkeit im Überblick: 

Teil 1: Die Wertedebatte in der BWL
Teil 2: Die aktuelle Situation
Teil 3: Staatliche Marktinterventionen 
Teil 4: Steuer
Teil 5: Korruption

Quellen:

[i] Neuberger, O., Der Mensch ist Mittelpunkt. Der Mensch ist Mittel. Punkt., 8 Thesen zum Personalwesen, in: Personalführung 1990/1, S. 3-10
[ii] Reichert, R., Anthropologie der Arbeit im Postfordismus, Marburger Forum, Beiträge zur geistigen Situation der Gegenwart  Jg. 3 (2002), Heft 1; http://archive.is/NnCf5#selection-10.0-15.69; 14.05.18
[iii] Flaig, E., Weltgeschichte der Sklaverei, München 2009. beck’sche reihe 1884. ISBN 978-3-406-58450-3.
[iv] Vgl. Jellen, R., Formen von Unfreiheit, Interview mit dem Althistoriker Egon Flaig über alte und neue Sklaverei, http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31712/1.html; 08.03.10
[v] Resolution der Generalversammlung 217 A (III). Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Vereinte Nationen, 10.12.1948
[vi] Vgl. o.V., what is modern slavery? https://www.walkfreefoundation.org/understand/
[vii] Sanjo, J., 63. Dt. Betriebswirtschafter-Tag 2009
[viii] Ebd.
[ix] Vgl. o.V., Kinderarbeit – Ein Recht auf Arbeit? http://www.radioq.de/2009/09/kinderarbeit-ein-recht-auf-arbeit/; 23.09.2009
[x] http://www.ilo.org/global/topics/child-labour/lang–en/index.htm
[xi] Küst, H., Zwischen Rohrstock und Fabrik, https://rp-online.de/nrw/staedte/duisburg/zwischen-rohrstock-und-fabrik_aid-16417685
[xii] 24 % der EU-Bevölkerung (über 120 Millionen Menschen) sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, darunter 27 % der Kinder, 20,5 % der über 65-Jährigen und 9 % der Erwerbstätigen. http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=751&langId=de; 14.05.18
[xiii] Vgl. Saadi, I., Debatte 20 Jahre Kinderrechte Das Recht auf Kinderarbeit, http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/das-recht-auf-kinderarbeit/; 08.03.10
[xiv] Vgl. o.V., Wer billig kauft, kauft sehr teuer! http://www.initiative.cc/Artikel/2004_10_11%20wer%20billig%20kauft.htm
[xv] Vgl. o.V., Konflikt – Baumwolle, abgerufen von https://www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de/tag/hm/
[xvi] Vgl. o.V., Kinderarbeit in Afrika: Bittere Ernte, URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/kinderarbeit-in-afrika-bittere-ernte-a-721491.htm
[xvii] Die Rainforest Alliance ist eine 1987 gegründete internationale Zertifizierungsorganisation. Die Zentrale der Organisation befindet sich in New York City, die Europavertretung befindet sich in London.
[xviii] Vgl. Guhlich, A., Rohstoffe für E-Autos: Daimler will gegen Kinderarbeit vorgehen, Stuttgarter Zeitung, 02.05.18
[xix] Fischer, S., Grabsteine aus Kinderarbeit verbieten – Neue Studie fordert Bundesländer zum Handeln auf, https://idw-online.de/de/news691908; 16.05.18

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MBS Prof. Dr. Gottfried Schäffner
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Prof. Dr. Gottfried J. Schäffner, Dipl.-Kfm., studierte BWL an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, war wiss. Assistent und nach der Promotion zum Dr.rer.pol. Akad. Rat am Lehrstuhl f. Industriebetriebslehre. Er ist Gründungsmitglied der Unternehmensberatung tms institut für markt&technik strategien und hatte leitende kaufmännische Funktionen in mittelständischen Unternehmen inne. Prof. Dr. Schäffner ist seit 2003 Dozent an der MBS, mit den Schwerpunkten Allgemeine BWL und Wirtschaftsethik. Dozentenprofil und Veröffentlichungen