Transformative Technologien (Transtech) und ihr Potenzial zur Steigerung des Wohlbefindens am Arbeitsplatz (Teil 2): Gehirnwellen und ihre Wirkungen

NeuroTech: Stylized view of a brain with different colored streams and brain waves

Nach der kurzen Einführung in das Thema Transformative Technologien (TransTech) und der Vorstellung einiger entsprechender TransTech-Gadgets im ersten Blogbeitrag zum Thema geht es in diesem Teil um NeuroTech, d.h. die Nutzung von Gehirnwellen zur Steigerung von subjektivem Wohlbefinden, Produktivität und Sicherheit.


Was ist NeuroTech?

NeuroTech ermöglicht es heute dem*der einfachen Anwender*in, die Arbeitsweise des Gehirns zu beobachten, zu verstehen und gegebenenfalls sogar zu manipulieren, um letztendlich das Gehirn und damit den Menschen dabei zu unterstützen, beispielsweise eine Aufgabe besser zu erfüllen oder allgemein sein subjektives Wohlbefinden zu steigern.

Die einfachste Möglichkeit, dem Gehirn bei seiner Arbeit zuzusehen, besteht darin, die Gehirnwellen zu beobachten und auszuwerten. Praktischerweise besteht das Gehirn aus Milliarden Neuronen, die elektrische Signale erzeugen und untereinander durch das Senden elektrischer Impulse über die Dendriten kommunizieren. Die Summe dieser Signale erzeugt ein elektrisches Feld, mit dem ein Mensch im wachen Zustand – hypothetisch – sogar eine Glühbirne mit etwa 25 Watt zum Leuchten bringen könnte. Die synchronisierten neuronalen Aktivitäten lassen unterschiedliche Frequenzen entstehen, die außerhalb des Schädels über ein Elektroenzephalogramm (EEG) gemessen werden können. Einfache EEGs mit wenigen Messpunkten gibt es heute bereits für den privaten oder beruflichen Einsatz, womit ein EEG also nicht mehr ausschließlich bei einem Arzt zum Einsatz kommen muss.

Gehirnwelllen und ihre Wirkungen

Je nach Frequenz wird im Allgemeinen zwischen fünf verschiedenen Gehirnwellen unterschieden, wobei jede Form von Gehirnwellen im Gehirn entsprechend dem gerade aktuellen Zustand produziert wird. Unterschiedliche Gehirnwellen haben damit nicht nur unterschiedliche Ursachen, sondern auch unterschiedliche Effekte auf den Menschen (siehe Tabelle). Interessant ist nun, dass sich unterschiedliche Gehirnwellen auch mehr oder weniger bewusst generieren lassen: Menschen, die beispielsweise sehr erfahren in Meditation sind, können durch das Gehirn durch Meditation mehr Theta-Wellen produzieren lassen, die allgemein zur Entspannung beitragen. Andererseits entstehen Theta-Wellen beispielsweise bei leichtem Schlaf in den REM-Phasen.

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Tabelle: Gehirnwellen und ihre Wirkungen (Hertz: Anzahl periodischer Schwingungen pro Sekunde)

Wie man Gehirnwellen messen und manipulieren kann

Mithilfe von einfachen, in Kopfbändern oder Kopfbedeckungen integrierten EEG-Sensoren lassen sich nun diese Wellen zumindest an bestimmten Teilen des Kopfes wie der Stirn, den Schläfen und hinter den Ohren messen. Im Privatgebrauch lässt sich somit beispielsweise mittels dem Gerät Muse und der dazugehörigen App feststellen, welche Fortschritte der*die Nutzer*in bei Meditationsübungen macht. Das chinesische Unternehmen Deayea baut entsprechende Sensoren in Helme und Uniformmützen. Auf diese Weise lassen sich Wach- und Stresszustände beispielsweise von Lokomotivführer*innen oder Fließbandarbeiter*innen überwachen. Derartige Brain surveillance devices aus dem Bereich der Emotional surveillance technology verfügen nach Angaben des Herstellers inzwischen über eine mehr als 90-prozentige Genauigkeit und werden in China auch bei Fließbandarbeiter*innen sowie im Militär eingesetzt.

Die Messung der Gehirnwellen ist also zumindest zu einem gewissen Grad relativ einfach möglich. Die Manipulation der Entstehung der Gehirnwellen und damit die Produktion einer bestimmten Art von Gehirnwellen ist, wie bereits erwähnt, durch entsprechende Übungen wie Meditation oder auch Schlaf, etc. möglich. Inzwischen ist jedoch auch bekannt, dass eine Manipulation durch nicht-invasive Methoden und ohne entsprechendes Handeln des Menschen möglich ist. Dies kann beispielsweise durch binaurale Töne (binaural beats) erfolgen – gleichsam „optische Täuschungen für die Ohren“. Dabei muss der*die Nutzer*in einen Kopfhörer tragen, über den auf einem Ohr ein Ton mit einer leicht unterschiedlichen Frequenz zum Ton, der auf das andere Ohr eingespielt wird, zu hören ist. Das Gehirn nimmt dann den Frequenzunterschied zwischen den beiden Tönen auf und erzeugt Gehirnwellen, die diesem Unterschied entsprechen (auch Brainwave Entrainment genannt). Dieser Mechanismus ist daher von Bedeutung, da Töne mit einer Frequenz unter circa 20 Hertz (also Töne, die die in der Tabelle beschriebenen Wellen erzeugen), gar nicht vom menschlichen Gehör wahrgenommen werden könnten. Wie und warum genau das Gehirn aufgrund der unterschiedlich gehörten Frequenzen die entsprechenden Gehirnwellen produziert, ist bislang nicht bekannt.

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Abbildung: Entstehungsweise binauraler Töne

Binaurale Töne mit unterschiedlichen Frequenzen zur Konzentrationsteigerung oder Entspannung

Binaurale Töne und Musikstücke, die mit binauralen Tönen unterlegt sind, werden im Internet auf diversen Plattformen angeboten. Zur Anwendung werden keine besonderen Geräte außer einem Kopfhörer benötigt. Auf den Websites BrainAural und myNoise bietet der Sounddesigner Dr. Stéphane Pigeon auch die Möglichkeit, individuelle binaurale Töne zu erstellen. Für Studierende und Menschen, die sich auf ihre Arbeit konzentrieren müssen, sind Frequenzen im höheren Alphawellenbereich interessant; wer sich entspannen möchte erzeugt eine eher niedrige Alpha-Frequenz oder eine Theta-Frequenz. Selbst im medizinischen Bereich wird mit binauralen Tönen gearbeitet. Tatsächlich bietet Bayer auf der österreichischen Website von Aspirin verschiedene binaurale Tonstücke an, die helfen sollen, Kopfschmerzen zu lindern.

Auch wenn Technologie heute häufig eine Ursache für Stress und Krankheit sein kann, so bieten zumindest einige Anwendungen aus dem Bereich der Transformativen Technologien die Möglichkeit, das persönliche subjektive Wohlbefinden zu verbessern. Wie im ersten Blogbeitrag gezeigt wurde, können sie helfen, über den Tag gesund zu Atmen und dadurch den Körper und insbesondere das Gehirn mit Sauerstoff zu versorgen sowie das parasympathische Nervensystem zu stimulieren. Wie in diesem Beitrag gezeigt wurde, kann TransTech auch unmittelbar am Schädel eingesetzt werden. Selbst wenn Brain surveillance devices auch aus ethischer Sicht kritisch gesehen werden können, so werden sie dennoch bereits an Arbeitsplätzen eingesetzt. Die Nutzung der Technologien erlaubt es aber auch dem*der Privatnutzer*in, einiges über seinen Körper und sein Gehirn zu erfahren, dem er im hektischen, vollen Alltag keine Aufmerksamkeit widmet. Ein bewusster Umgang mit den genannten Technologien ist für die positiven Effekte von TransTech jedoch eine Grundvoraussetzung. In jedem Fall macht TransTech gerade noch die ersten Schritte aus einer Nische interessierter Forscher*innen und Nutzer*innen in die Welt der privaten und beruflichen Anwendung.

P.S.: Während des Verfassens dieses Beitrags wurden binaurale sowie isochrone Töne gehört.

Literaturhinweis:

André Daiyû Steiner, Carolin Hefele, Prof. Dr. Christian Schmidkonz (2018): Happiness im Business, Wiley.

Für Inhalt und Form dieses Beitrags ist der Autor verantwortlich.

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MBS Prof. Dr. Christian Schmidkonz
About Prof. Dr. Christian Schmidkonz 43 Articles
Prof. Dr. Christian Schmidkonz ist Studiengangsleiter des Programms "Master International Business" an der Munich Business School. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Conscious Business, Happiness at Work sowie Wirtschaft in China und Taiwan. Christian Schmidkonz hält ein Diplom in Volkswirtschaftslehre von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er studierte Chinesisch an der Fu Jen Universität in Taiwan und ist Alumnus des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Nach Stationen am ifo Institut für Wirtschaftsforschung und bei der internationalen Unternehmensberatung Capgemini gewann er als Entrepreneur 2008 den vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ausgeschriebenen Gründungswettbewerb „Multimedia“. Christian Schmidkonz wurde 2020 mit dem erstmalig vergebenen „MBS Teaching Award" ausgezeichnet.