Er war Tradition, Ritual und Gewohnheit. Nun verabschieden wir uns vom Handschlag, um Abstand einzuhalten und Ansteckung zu vermeiden. Es zeigt sich, wir brauchen eine verlässliche Alternative. Besonders im Büro und bei offiziellen Anlässen.
Noch vor wenigen Wochen galt uns der Handschlag als zuverlässige Geste der Begrüßung und Verabschiedung. Er war das erste Bekenntnis zur Verständigung und ihn zu verweigern, galt gegen die Regeln des guten Umgangs zu verstoßen. Er signalisierte Respekt für den*die Begrüßte*n bis hin zu Verhandlungsbereitschaft bei schwierigen Themen. Intensiviert von einem Blick in die Augen, schuf er in wenigen Sekunden Nähe und Vertrauen, erlaubte gar manchen Rückschluss auf den Charakter einer Person. Als willensstark und selbstbewusst galt, wer beherzt zupacken konnte. Mit einem leichten, seichten Händchen taten wir uns schwer, obgleich der*die Weitgereiste weiß, dass vor allem in asiatischen Ländern ein fester Händedruck seit je her als unhöflich und grob gedeutet wird.
In den Nachrichten galt uns Europäer*innen der symbolträchtige Handshake zweier Staatsoberhäupter*innen als gewohntes, aber wichtiges Zeichen des Wohlwollens auf höchster Ebene. Mit ihm haben wir die Regel des Anstands, des Respektes und der Höflichkeit verinnerlicht. Mehr noch, der Handschlag hat unter Ehrenmännern einen Vertrag ersetzt. Und schon die Bibel kennt den Handschlag. Im Neuen Testament wird Paulus in Jerusalem die „rechte Hand der Freundschaft“ gereicht. Im Mittelalter war er ein Zeichen dafür, dass man unbewaffnet erschien und somit ein Symbol des Friedens.
Auf Dauer schützen und ein neues Ritual etablieren
Doch nicht erst seit heute wissen wir, dass durch Händeschütteln Tröpfchen- und Schmierinfektionen übertragen werden können. Die möglichen Folgen eines Handschlags durch Desinfektionsmittel ungeschehen zu machen, hieße ohnehin die Geste zu entwerten. Was also sämtliche Grippeviren in den vergangenen Jahrzehnten nicht vollbracht haben, schafft nun SARS-CoV 2, die Cruise Missile unter den Corona-Erregern. Er zwingt uns vom Händeschütteln abzulassen und neue Begrüßungsformen zu etablieren, besonders für das formelle Miteinander, wo der, weil zu lässige, Ellbogencheck und der unbrauchbare, weil plumpe Fußgruß keine Ersatzhandlungen sind.
Doch bevor wir nach einer geeigneten Alternative zum Handgruß suchen, sollten wir uns darüber verständigen, was ein persönlicher Gruß zwischen Personen insbesondere auf formeller Ebene heute überhaupt noch leisten soll. Ist die Begrüßung schlicht der erste Auftakt zu einem persönlichen Kennenlernen? Möchte ich meinem Gegenüber wahrhaftig Respekt ausdrücken oder gar Verhandlungsbereitschaft signalisieren? Dann nämlich könnte ein Innehalten im vorgeschriebenen Abstand genügen, ein Sekundenblick in die Augen unseres Gegenübers. Nennen wir diesen Moment den „wahren Augenblick“ oder den „klaren Augenblick“. Denn nicht nur Tränen, sondern auch Augen lügen nicht. Von einem wohlwollenden Nicken begleitet würde uns dieser Wahrheitsmoment doch viel mehr offenbaren als ein Händedruck. Beispielsweise ob uns jemand wohlwollend und aufrichtig gegenübersteht, defensiv in die Begegnung geht oder eher Dominanzgebaren zeigt. Vergessen wir nicht, einen festen Händedruck kann man trainieren, den authentischen Augenblick hingegen nicht.
Wie man im Eigenexperiment mit Kolleg*innen oder Vorgesetzten feststellen kann, geht es bei den Reaktionen der Augen des Gegenübers darum, ob sich die Pupillen weiten oder schließen. Meist werden sie bei positiven Emotionen größer, bei negativen Gedanken kleiner. Im Kontext der Situation und begleitet von weiteren Indizien wie gesprochenen Worten können die Augen ein guter Indikator für die wahren Gefühle und Absichten unseres Gegenübers sein. Wissenschaftler*innen haben berechnet, dass Menschen einen Augenkontakt bis zu 3,2 Sekunden Länge als angenehm empfinden. Gewiss bei Japaner*innenn sollten wir dies unterlassen und stattdessen den Blick – Konfrontation vermeidend – nach unten richten.
Gerade der fehlende Handschlag bedeutet heute Respekt
Es gilt zu verinnerlichen, dass der fehlende Handschlag nicht unhöflich, sondern umsichtig ist. Mit Abstand aufeinander zu achten, ist heute schlicht die neue Geste des Respektes. Wir müssen uns nur erst daran gewöhnen. Aus der Hirnforschung weiß man, dass sich nach etwa drei Monaten neue neuronale Verknüpfungen im Gehirn bilden und Umstellungen dann als neue Angewohnheit sozusagen in Fleisch und Blut übergehen. Bewahren wir uns jedoch die Umarmungen, Wangen- und Luftküsse für gute Freund*innen und unsere Liebsten. Auch das zärtliche Händchenhalten darf uns nicht abhandenkommen. Schon Freiherr von Knigge pflegte zu sagen: „Ohne Handkuss kommt man ganz gut durchs Leben – ohne einander aber nicht.“ Im Idealfall sind die Hände dabei keimfrei.
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