MBS Insights: Frau Hieke, wie gehen Sie als Professorin an der MBS mit dem Thema Diversität um und welchen Stellenwert nimmt es in Ihrem Unterricht ein? Kommunizieren Sie mit Ihren Studierenden offen über Diskriminierung und Rassismus?
Prof. Dr. Sophie Hieke: Immer wieder, vereinzelt: ja. Wir haben bereits über „gender fluidity“ im Marketing gesprochen. Oder über Stereotypen, wie diese entstehen und wie sie in der Werbung (gegen uns) verwendet werden. In diesem Zusammenhang kam damals eine Diskussion in meinem Kurs auf, wer denn bereits stereotypisiert wurde – und schnell wurde klar, dass der Weg vom Stereotyp hin zum Rassismus ein sehr kurzer sein kann. Zu wissen, dass meine Studierenden mit diesem Problem kämpfen müssen, hat mich sehr betroffen. Unsere nachhaltige Verankerung der Diversität und Inklusion an der MBS bekräftigt mich daher umso mehr darin, diese Themen, insbesondere wenn sie keine einfachen sind, verstärkt anzusprechen. Zum Beispiel, indem ich eines unserer Online Events im Sommer statt zur Vorstellung meines Studienprogramms zur Diskussion mit den Teilnehmer*innen über „Black Lives Matter“ genutzt habe. Oder die Tatsache, dass wir keine Brown Bag Seminare mehr veranstalten wollen, sondern unseren internen Forschungsaustausch während der Mittagspause von nun an als „Lunch & Learn“ oder ähnliches bezeichnen. Das sind alles furchtbar kleine Schritte auf einem langen Weg. Aber ich weiß, dass wir den Weg gehen werden. Und Schritt für Schritt, gemeinsam lernen und einander besser verstehen werden.
MBS Insights: Was hat die Bewegung „Black Lives Matter“ (BLM) mit der MBS bzw. Deutschland zu tun?
Minh Tran: Auch wenn die BLM-Bewegung in Nordamerika entstanden ist, bedeutet das nicht, dass es bei uns keinen Rassismus gibt. Auch in Deutschland begegnen Menschen sowohl personellem als auch institutionellem Rassismus – und dagegen müssen wir alle als Gemeinschaft ankämpfen. Dabei sehe ich bei der MBS, deren Studierende eine Vielzahl von Nationen und Kulturen vertreten, eine besondere Verantwortung.
Tebogo Mazibuko: Hier kann ich Minh nur zustimmen. Auch ich finde, dass die MBS als akademische Einrichtung, die Studierende und Mitarbeiter*innen aus vielen verschiedenen Ländern anzieht, eine so große und aktuelle Bewegung wie die BLM-Proteste nicht ignorieren kann. Im besten Fall lernt die Hochschule daraus und setzt sich noch stärker für Diversität, Inklusion und Zugehörigkeit in allen Bereichen der MBS ein. „Black Lives Matter“ hat auch etwas mit Deutschland zu tun, denn auch hier leben ca. eine Million Schwarze Menschen und ich habe erfahren, dass die Migration vom afrikanischen Kontinent schon vor mehr als 100 Jahren begann. Letzten Endes gibt es auch in Deutschland Rassismus, zum Beispiel in Form von „Racial Profiling“, das ist mittlerweile nicht nur allgemein bekannt, sondern leider auch Teil meines Alltags – in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Geschäften.
Prof. Dr. Sophie Hieke: Ich habe mich immer für einen sehr offenen und toleranten Menschen gehalten und gerne zum Besten gegeben, dass ich „keine Farben sehe“. Bis ich aufgrund der erneuten Rassenunruhen mit der Nase darauf gestoßen wurde und endlich mehr dazu gelesen und mich intensiver mit dem Thema beschäftigt habe. Inzwischen verstehe ich, dass ich trotz langjähriger Verneinung ganz massiv von meiner „weißen Privilegiertheit“ profitiere. Mehr als mir lieb ist. Dass es Videos eines sterbenden Menschen bedarf, um die Leute wach zu rütteln, hat mich furchtbar erschüttert und es war mir ein inneres Bedürfnis, meine Hochschule aktiv in diese Diskussion einzubringen. Ich finde, dass „Black Lives Matter“ etwas mit Menschlichkeit zu tun hat, nicht mit Institutionen oder Ländern. Und ich merke gerade erst, wie viel stärker Rassismus in Deutschland verbreitet ist, als ich das ursprünglich gedacht habe. Ich lerne gerade, wie viel ich eigentlich noch nicht weiß. Und ich bin so stolz darauf, dass wir an der MBS uns dazu entschieden haben, diesen Lernprozess gemeinsam fortzuführen. Uns stark zu machen für alle Teile der Gesellschaft. Und uns einzusetzen. Für das, wofür wir sowieso bereits stehen, und vor allem für unsere Studierenden, Dozierenden und unsere Mitarbeiter*innen. Wir leben davon, einen möglichst diversen Campus zu haben, und ich wünsche mir, dass jeder und jede Einzelne sich bei uns sicher, aufgehoben, wertgeschätzt und gehört fühlt.
MBS Insights: Prof. Dr. Stefan Baldi, nun aber mal Tacheles. Es läuft nie alles nur gut und es gibt immer Stellschrauben, an denen gedreht werden muss. Welche benachteiligten Gruppen müssen an der MBS noch stärker in den Fokus gerückt werden?
Prof. Dr. Stefan Baldi: Menschen mit Behinderung sind an der MBS ganz klar unterrepräsentiert, was auch daran liegt, dass die Hochschule von ihrer Ausstattung noch nicht bereit ist, diese Personengruppe angemessen zu unterstützen. Wir kämpfen derzeit noch immer für eine richtige barrierefreie Toilette. Darüber hinaus sind nicht alle sozialen Schichten gleich stark an der MBS vertreten. Das ist zum Teil auf einen Selbstauswahlprozess zurückzuführen, da einige Studieninteressierte aufgrund der Studiengebühren eine private Hochschule gar nicht erst in Betracht ziehen (können). Hier sollten wir unsere Stipendienmöglichkeiten aktiver bewerben und diese auch ausweiten.
MBS Insights: Welche Herausforderungen mit der Thematik rund um Diversität und Inklusion seht ihr?
Prof. Dr. Sophie Hieke: An aller Anfang steht das Wort. So in etwa, zumindest. Ich glaube, wir müssen damit beginnen, uns klar zu positionieren. Uns Gehör zu verschaffen. Und uns strukturiert zu überlegen, wie wir uns wo und wann einbringen können. Dafür schaffen wir gerade einen Diversitäts-Kalender, in welchem wir uns jeden Monat einem spezifischen Thema widmen: Sei es geschlechtliche Identität, ethnische Herkunft oder sexuelle Orientierung. Auf diese Weise wollen wir das Thema Diversität und Inklusion langfristig in unserer Institution verankern und fest mit unseren Werten verbinden. Die Monate können wir dann mit vielen spannenden Events, Aktionen, Beiträgen etc. füllen. Ich bin sehr gespannt, wie das von unseren Mitarbeiter*innen, Dozierenden und Studierenden aufgenommen werden wird. Aber ich habe da so ein Gefühl, dass wir hier sehr offene Türen einrennen.
Minh Tran: Das finde ich einen guten Ansatz. Die größte Herausforderung sehe ich nämlich darin, die Thematik präsent zu halten. Die Probleme verschwinden nicht, sobald der mediale Hype vorüber geht. Auch wenn BLM- und Anti-Rassismus-Posts auf Social Media weniger werden, muss jeder weiterhin gegen Rassismus kämpfen. Besonders nach dem schrecklichen Tod von George Floyd war Rassismus für mehrere Wochen ein riesiges Thema in den Medien. Für viele Menschen ist es ihr Leben lang ein riesiges Thema. Das dürfen wir niemals vergessen.
Teboko Mazibuko: Ganz richtig. Für mich ist es extrem wichtig, dass die MBS hier authentisch agiert. Allen Äußerungen nach außen müssen auch Veränderungen und Verbesserungen im Inneren folgen. Gleichzeitig sollten alle MBS Strategien zum Thema Diversität konkrete und messbare Ziele haben. Und auch wenn BLM zurzeit einer der weltweit größten Protestbewegungen ist, dürfen wir und darf die MBS nicht vergessen, dass es auch noch andere Personengruppen an der MBS gibt, die möglicherweise Diskriminierung erfahren, beispielsweise aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihres asiatischen Aussehens während der Corona-Pandemie. Es könnte negativ ankommen, wenn der Eindruck entsteht, die MBS würde nur die Herausforderungen einer Gruppe ansprechen.
MBS Insights: Welche konkreten Maßnahmen und Aktionen sind in diesem Rahmen in nächster Zukunft an der MBS geplant?
Prof. Dr. Stefan Baldi: Wir haben eine Arbeitsgruppe mit verschiedenen Beteiligten gebildet, um die Vielfalt in allen Dimensionen zu fördern und um die Aktivitäten innerhalb des angesprochenen Diversitäts-Kalenders zu koordinieren. Schon bald wird unser Campus auch mit genderneutralen Toiletten ausgestattet sein und wir planen, eine „Diversity Wall“ zu gestalten, die das Bewusstsein für die verschiedenen Dimensionen der Vielfalt schärfen soll und einen Überblick über unsere Aktivitäten in dem Bereich gibt. Generell möchten wir mehr Diskussionen über Diversity-Themen im Unterricht fördern, aber auch außercurriculare Aktivitäten anbieten, die Gleichgesinnte verbinden und anderen helfen soll, ihre Perspektive zu ändern. Wenn wir eine vielfältigere Welt um uns herum wollen, müssen wir hier an der Munich Business School damit beginnen.