Die Finanzfunktion steht vor der Entscheidung, wie sie sich zukünftig positionieren will. Verpasst sie die Chance auf den Neuanfang, bleibt sie in Rechnungswesen, Planung und Reporting stecken. Aber wie wird man zum Business Partner des Managements? Dr. Raoul Ruthner, Geschäftsführender Partner bei PACEup Management-Consulting GmbH und Lehrgangsleiter im Programm Certified Digital Leader an der Munich Business School beurteilt die Situation.
Digitalisierung in aller Munde
Digitalisierung bedeutet nicht nur eine nachhaltige Veränderung für die Geschäftsmodelle vieler Unternehmen, sondern prägt vor allem auch durch ein beinahe exponentielles Datenwachstum den internen Umgang und die Nutzung von Information. Damit steht auch die Finanzfunktion vor der Entscheidung, wie sie sich zukünftig positionieren will: Entweder sie beschränkt sich auf „klassische“ Aufgabengebiete (wie bspw. Rechnungswesen, klassische Planung und Reporting) und nimmt somit nicht die Rolle des gestalterischen Gegenspielers zum leitenden Management wahr, oder sie versucht, basierend auf fundierten Analysen und branchenspezifischem Know-how die Zukunft des Unternehmens aktiv mitzugestalten.
Die Rahmenbedingungen sind herausfordernder als je zuvor
Aktuell gibt es aber auch kaum ein Unternehmen, das nicht (zumindest vordergründig) das Thema Digitalisierung hervorhebt und als Fokusbereich nennt. Insbesondere die Finanzfunktion ist gefordert, denn fundamentale Veränderungen erscheinen unausweichlich. Dennoch sieht die Realität anders aus: Die digitale Transformation der Finanzfunktion steckt teilweise noch in den Kinderschuhen. Anspruch und Realität klaffen oftmals weit auseinander und viele Potenziale werden nicht oder nur unzureichend genutzt. Viele Unternehmen waren bislang nicht bereit, sich auf eine weitreichende Transformation im Finanzbereich einzulassen.
Hinzu kommt, dass das Thema Digitalisierung häufig unterschätzt und nicht in seiner vollen Tragweite gesehen wird. Vielfach sieht man in der Einführung von Technologien und neuen Tools bereits einen heilsbringenden Ansatz – der aber leider viel zu kurz greift und deutlich weiterreichende Rahmenbedingungen erfordert:
- Steuerungsmodell und -prozesse sind neu auszurichten und müssen durch Werttreibermodelle ein hohes Maß an Geschäftsnähe aufweisen. Daneben sind Prozesse aber proaktiv, zukunftsgerichtet, schlank und agil zu gestalten, um mithalten zu können. Real-time-Datenverfügbarkeit und Predictive-Modelle erfordern rasche Entscheidungen durch das Management-Team.
- Definierte End-to-end-Prozesse mit klaren Verantwortlichkeiten werden zur Erfolgsvoraussetzung und unabdingbar. Nur so lässt sich das volle Potenzial von Robotics Process Automation (RPA) bzw. Process Mining ausschöpfen.
- Organisatorisch sind geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, dies gilt sowohl für die Finanzfunktion als auch im Wechselspiel mit anderen Unternehmens-/Funktionsbereichen. So sind innerhalb des Finanzbereichs Aufgaben neu zu strukturieren und bei den Teams zwischen repetitiven Aufgaben, die stabil, strukturiert und effizient aufgesetzt werden müssen (also Effizienzfokus haben), und projektorientierten Weiterentwicklungsthemen klar zu unterscheiden.
- Systematisches Kompetenzmanagement und Kompetenzentwicklung für die Mitarbeiter*innen im Finanzbereich ist der Schlüssel, um das erforderliche Skill-Set aufzubauen. Sei es durch Schulung oder Neuzugänge. Dafür ist ein strukturierter und konsequenter Entwicklungsprozess notwendig, der den Faktor Mensch als Erfolgskomponente einer Digitalisierungsinitiative begreift.