Nachhaltigkeit ist passé – die Zukunft gehört regenerativen Unternehmen

Regenerative Business: eco-friendly building in the modern city.

Prof. Dr. Christian Schmidkonz erläutert, warum Nachhaltigkeit in Unternehmen nicht mehr genug ist und es für einen echten Wandel stattdessen regenerative Unternehmen als einzige Form eines zukunftsorientierten Wirtschaftens braucht.


Die Grenzen nachhaltigen Wirtschaftens

Nachhaltigkeit ist ein Auslaufmodell. Zumindest bei denjenigen (Unternehmen), die die Welt wirklich zu einem besseren Ort machen wollen. Denn die Idee des nachhaltigen Wirtschaftens wurde in der Vergangenheit so nachhaltig verletzt, dass heute ein nachhaltiges Wirtschaften lediglich einen schlechten Zustand erhält, jedoch nicht dazu beiträgt, diesen zu verbessern. Viel zu lange wurden bereits mehr Ressourcen verbraucht als auf natürliche Weise regeneriert werden können. Nachhaltiges Wirtschaften würde bedeuten, dass wir weiterhin dabeibleiben werden, jedes Jahr die natürlichen Ressourcen von 1,7 Erden zu verbrauchen – anstatt nur die Ressourcen der einen Erde, auf der wir alle leben.

Auch aus diesem Grund hat das Unternehmen Patagonia, ein führender Hersteller von Outdoor-Kleidung, den Begriff Nachhaltigkeit aus seinem Wortschatz gestrichen. Möglicherweise werden weitere Unternehmen folgen, denn Patagonia ist seit vielen Jahrzehnten ein Pionier in der Kleidungsbranche im Bereich umweltbewussten Handelns. Nicht zu Unrecht inspirierte der Gründer Yvon Chouinard dutzende Unternehmer*innen weltweit dazu, ihr Unternehmen stärker als ein „Conscious Business“ zu führen und damit transparenter, reflektierter sowie verantwortungs- und umweltbewusster zu handeln.

Die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in Unternehmen: Von Nachhaltigkeit zu Regeneration

Die einzige Form eines zukunftsorientierten Unternehmens kann heute lediglich ein Unternehmen sein, welches nicht bloß auf Nachhaltigkeit setzt, sondern regenerativ (!) arbeitet. Ein derartiges Unternehmen richtet nicht nur keinen Schaden an, sondern repariert diejenigen Schäden, die in den vergangenen Jahrhunderten durch unternehmerisches Handeln bereits entstanden sind. Schauen wir uns einige Beispiele von Unternehmen an, die bereits regenerative Geschäftsmodelle betreiben oder zumindest intensiv daran arbeiten.

Beispiele für regenerative Unternehmen

Ecosia – Die Suchmaschine für Baumpflanzung

Die Internetsuchmaschine Ecosia verwendet die durch Anzeigen eingenommenen Gelder zu einem Großteil für Baumpflanzprojekte. Im Schnitt wird mit ca. jeder 50. Suche ein Baum gepflanzt. Da ein Baum in einer Lebenszeit von 15 Jahren 50 kg CO2 aus der Atmosphäre absorbiert, bedeutet dies, dass ein*e Nutzer*in von Ecosia mit jeder Suchanfrage 1 kg CO2 aus der Atmosphäre nimmt. Der durch den Betrieb der Server verursachte CO2-Ausstoß fällt dabei kaum ins Gewicht und noch dazu: da Ecosia auf Bing für die Suchergebnisse zurückgreift und Microsoft als Anbieter von Bing angekündigt hat, bis 2050 nicht nur CO2-neutral zu sein, sondern auch den gesamten CO2-Ausstoß, den Microsoft in seiner Unternehmensgeschichte verursacht hat, wieder aus der Atmosphäre genommen zu haben, hat Ecosia ein eindeutig regeneratives Geschäftsmodell gefunden. Monatlich werden Millionengewinne erzielt, mit denen bis Ende 2021 bereits über 140.000.000 Bäume gepflanzt worden sind.

Allbirds – Nachhaltigkeit von Schuhsohlen

Schuhe des Unternehmens Allbirds werden vollständig aus natürlichen Materialien wie Wolle und pflanzenbasierten Stoffen hergestellt – bis auf die Schnürsenkel, welche aus recyceltem Plastik bestehen. Die Sohlen werden aus Zuckerrohr gewonnenem „SweetFoamTM produziert und auf eine insgesamt sogar CO2-negative Weise hergestellt. Was den Einsatz der verwendeten Materialien betrifft, so bedeutet dies in der Konsequenz: Je mehr Schuhsohlen produziert werden, desto besser ist dies für den Kampf gegen den Klimawandel. Allbirds weist darauf hin, dass die Umweltziele nur mit der Verfolgung einer regenerativen Landwirtschaft im Gegensatz zur extensiven Landwirtschaft zu erreichen sind. Noch trägt jeder produzierte Schuh insgesamt zum CO2-Wachstum bei; wieviel Kilogramm dies sind, wird für jedes Paar Schuhe transparent angegeben. Auch wenn der CO2-Ausstoß kompensiert wird, so ist es doch das Ziel von Allbirds, erst gar kein CO2 zu produzieren und am Ende sogar CO2-negativ zu werden: „We intend to reverse climate change through better business.“ Das intern verwendete Life Cycle Assessment (LCA) Tool zur Berechnung des CO2-Beitrags eines Produktes stellt Allbirds als Open Source frei auf der Website zur Verfügung.
Übrigens: Was die Bereitstellung derartiger Tools betrifft, so ist Allbirds nicht allein: Auch Logitech verfolgt eine regenerative Reduce-Renew-Restore-Strategie und stellt im Rahmen dessen seine LCA-Methode Interessierten zur Verfügung.

Interface – Die CO2-negativen Teppichfliesen

Woran Allbirds in Sachen Umstellung von Nachhaltigkeit auf Regeneration noch arbeitet, hat das Unternehmen Interface, der Hersteller von Bodenbelägen (jährlicher Umsatz >1 Mrd. US$), bereits geschafft: Nicht nur werden alle Bodenbeläge klimaneutral produziert sondern 2020 wurden sogar die weltweit ersten CO2-negativen Teppichfliesen eingeführt. Der Gründer von Interface, Ray C. Anderson, hatte bereits 1994 für sein Unternehmen das Ziel ausgerufen, keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt mehr zu verursachen, wobei die komplette Lebensdauer der Teppichfliesen berücksichtigt werden soll. Heute kann Interface den CO2-Fußabruck für die verbauten Emissionen (embodied carbon; cradle-to-gate) sogar negativ gestalten. Damit gilt: Je mehr derartige Teppichfliesen in den Büros in aller Welt verlegt werden, desto besser ist dies für das Klima. Die nach dem Verkauf des Produktes durch die nicht durch Interface beeinflussbare Nutzung freigesetzten CO2-Emissionen (operational carbon; gate-to-end-of-life) werden über Zertifikate kompensiert. Alle Produkte werden am Ende der Nutzungsdauer zurückgenommen, um wieder in den Kreislauf eingeführt zu werden. Die Vision von Interface ist eine Factory as a Forest, welche nicht nur keine rauchenden Schlote hat oder lediglich nachhaltig arbeitet, sondern einen positiven und damit regenerativen Beitrag zur Verbesserung der Umwelt leistet.

Die drei ausgewählten Beispiele zeigen, dass regeneratives Wirtschaften für herkömmliche Produkte möglich ist und entsprechend das einzig ehrliche Ziel im Rahmen einer zukunftsgerichteten, umweltgerechten Strategie sein kann.

Unterschiede in der Herangehensweise von Unternehmen, die auf Nachhaltigkeit bzw. Regeneration setzen

Nachhaltiges UnternehmenRegeneratives Unternehmen
„Do more with less harm“„Leave it better than you found it”
Nutzt die Ressourcen von 1,7 ErdenNutzt die Ressourcen von max. 1 Erde
Impact durch keine weitere VerschlechterungImpact durch Verbesserung eines schlechten Zustandes
Klimaneutrale ProduktionProduktion mit negativem CO2-„Ausstoß“
Gesamteffekt bestenfalls neutralGesamteffekt netto positiv

Umweltschutz als Selbstschutz

Umweltschutz bedeutet nicht, dass „wir“ Menschen „die Umwelt“ schützen, damit es „ihr“ besser geht. Umweltschutz bedeutet, dass wir Menschen uns selber schützen, wenn wir uns um die Umwelt kümmern. Es gibt keine Trennung zwischen „wir“, den Menschen, und „ihr“, der Umwelt, da die Menschheit nur in einer gesunden Umwelt überleben kann. Doch die Umwelt ist in großen Teilen als Folge der Industrialisierung nicht mehr gesund.

Tatsächlich ist es der Erde vollkommen egal, ob auf ihr Menschen leben oder nicht – es gab sie bereits Milliarden Jahre vor dem Homo Sapiens und wird sie im Zweifel auch noch Milliarden Jahre geben – mit oder ohne Menschen. Immerhin: die Selbstheilungskräfte der Natur sind immens, wenn der Mensch nicht eingreift: So zeigt beispielsweise The Year Earth Changed von Sir David Attenborough eindrucksvoll, wie schnell sich Fauna und Flora Habitat (zurück-)erobern, sobald der Mensch dank einer globalen Pandemie sich in seine Wohnungen und Home-Offices zurückzieht. Auch die Natur braucht den Menschen nicht – aber der Mensch braucht die Natur zum Überleben. Ihren schlechten Zustand nachhaltig zu erhalten, reicht nicht. Den Schaden, der ihr zugefügt wurde, regenerativ wieder auszubessern, muss das Paradigma der Stunde auch für unternehmerisches Handeln sein.

Empfohlene Literatur:

  • Mackey, J., & Sisodia, R. (2013). Conscious capitalism: liberating the heroic spirit of business. Boston, Mass.: Harvard Business Review Press
  • Polman, P., & Winston, A. (2021). Net Positive: How Courageous Companies Thrive by Giving More Than They Take. Boston, Mass.: Harvard Business Review Press
  • Stahlhofer, N., Schmidkonz, C., & Kraft, P. (2018). Conscious Business in Germany – Assessing the Current Situation and Creating an Outlook for a New Paradigm. Cham: Springer.
Für Inhalt und Form des Beitrags ist der Autor verantwortlich. 

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MBS Prof. Dr. Christian Schmidkonz
Über Prof. Dr. Christian Schmidkonz 43 Artikel
Prof. Dr. Christian Schmidkonz ist Studiengangsleiter des Programms "Master International Business" an der Munich Business School. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Conscious Business, Happiness at Work sowie Wirtschaft in China und Taiwan. Christian Schmidkonz hält ein Diplom in Volkswirtschaftslehre von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er studierte Chinesisch an der Fu Jen Universität in Taiwan und ist Alumnus des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Nach Stationen am ifo Institut für Wirtschaftsforschung und bei der internationalen Unternehmensberatung Capgemini gewann er als Entrepreneur 2008 den vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ausgeschriebenen Gründungswettbewerb „Multimedia“. Christian Schmidkonz wurde 2020 mit dem erstmalig vergebenen „MBS Teaching Award" ausgezeichnet.