Stellen Sie sich vor, Sie schlendern im Advent durch die Innenstadt. Die Luft duftet nach Glühwein und gebrannten Mandeln, Lichterketten erhellen die Straßen – und mitten auf dem Marktplatz steht ein wunderschön geschmückter Weihnachtsbaum. Vielleicht fragen Sie sich: Warum gibt es diesen Baum überhaupt? Wer hat ihn finanziert, wer schmückt ihn, und warum macht sich überhaupt jemand die Mühe?
Ökonomen würden sich diese Frage durchaus stellen, denn aus ihrer Perspektive dürfte dieser Baum eigentlich gar nicht existieren. Das Problem liegt darin, dass der Weihnachtsbaum ein sogenanntes „öffentliches Gut“ ist. Bei öffentlichen Gütern fehlt oft der Anreiz, sie zu finanzieren. Öffentliche Güter haben zwei wesentliche Eigenschaften: Sie sind nicht-ausschließbar und nicht-rivalisierend. Nicht-Ausschließbarkeit bedeutet, dass niemand davon ausgeschlossen werden kann, den Baum zu bewundern, sobald er geschmückt ist. Nicht-Rivalität heißt, dass die Freude („Nutzen“) einer Person am Baum nicht die Freude anderer schmälert. Genau diese Eigenschaften machen öffentliche Güter so wertvoll – und gleichzeitig problematisch. Warum sollte jemand für etwas zahlen, das er kostenlos nutzen kann? Die meisten hoffen, dass andere die Kosten übernehmen. Dieses Verhalten wird als „Trittbrettfahrerproblem“ bezeichnet.
Dieses Problem betrifft nicht nur Weihnachtsbäume. Auch Schwimmbäder, Parks, Straßenbeleuchtung oder Deiche sind öffentliche Güter. Wenn niemand Verantwortung übernimmt, gibt es am Ende weder den Baum noch das Schwimmbad – ein klassisches ökonomisches Dilemma.
Das Problem verschärft sich in großen Gemeinschaften oder Städten wie München: Es gibt viele Menschen, die das machen könnten. Sollte sich dann nicht jemand finden, der es macht? Nein, es kann sogar dazu kommen, dass es am Ende niemand macht. Dieses Phänomen wird als „Freiwilligendilemma“ (Volunteer’s Dilemma) bezeichnet. Jeder denkt: „Irgendjemand wird es schon machen.“ Wenn aber alle so denken, passiert gar nichts – und der Baum bleibt schmucklos.
Der Grund liegt in der Verteilung von Kosten und Nutzen. Die Mühe, den Baum zu schmücken, liegt bei den Freiwilligen, während der Nutzen – wie bereits erwähnt – allen zugutekommt. Jeder kann den Baum genießen, unabhängig davon, ob oder wie viel sie/er zur Dekoration beigetragen hat. Das führt dazu, dass viele sich zurückhalten und darauf hoffen, dass jemand anderes die Aufgabe übernimmt. Je größer die Gemeinschaft, desto stärker wird dieses Verhalten, denn der eigene Beitrag erscheint immer weniger entscheidend, während der Aufwand gleich bleibt.
Wie lässt sich dieses Dilemma lösen? Oft übernimmt der Staat eine zentrale Rolle, da er die Möglichkeit hat, alle durch Steuern zu einem Beitrag zu verpflichten. Dies ist eine der ökonomischen Kernfunktionen des Staates: die ausreichende Bereitstellung öffentlicher Güter wie Parks, Straßenbeleuchtung oder, in diesem Fall, eines geschmückten Weihnachtsbaums.
Private Anreize, öffentliche Güter bereitzustellen, sind oft vorhanden, aber meist nicht besonders ausgeprägt. In kleinen, lokalen Gemeinschaften kann der Nutzen jedoch ausreichend hoch sein, sodass eine koordinierte Lösung möglich wird – besonders bei wiederholter Zusammenarbeit. So könnten etwa die Einzelhändler in der Innenstadt die Finanzierung des Weihnachtsbaums übernehmen, da ein festlich geschmückter Marktplatz mehr Besucher anzieht und die Kauflaune steigert. Sollten einige Händler jedoch nicht mitmachen, könnten Sanktionen sinnvoll sein, wie beispielsweise der Ausschluss von zukünftigen gemeinsamen Aktionen. Wenn eine langfristige Kooperation besteht und Abweichungen sanktioniert werden können, lässt sich das Trittbrettfahrerproblem auch in privatwirtschaftlichen Kontexten überwinden.
Soziale Normen spielen hier ebenfalls eine wichtige Rolle. Sie sind letztlich nichts anderes als informelle Mechanismen zur Förderung von Kooperation. Menschen fühlen sich häufig motiviert, ihren Beitrag zu leisten, wenn sie wissen, dass ihr Einsatz wahrgenommen wird – oder wenn sie sich als Teil einer größeren Gemeinschaft sehen. Studien zeigen außerdem, dass Menschen Fairness oft sehr hoch schätzen und bereit sind, sogar auf eigene Kosten diejenigen zu bestrafen, die sich unkooperativ verhalten. Diese Tendenz zur Bestrafung stärkt den sozialen Zusammenhalt und kann Abweichler dazu bringen, sich künftig zu beteiligen.
Und doch ist Weihnachten eine Zeit, in der solche ökonomischen Überlegungen oft in den Hintergrund treten. Es ist eine Zeit, in der Gemeinschaft, Freude und Großzügigkeit im Vordergrund stehen. Wenn wir in der Adventszeit den Baum bewundern, denken wir weniger darüber nach, wer ihn bezahlt oder geschmückt hat, sondern mehr daran, was er uns gibt: ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, ein wenig Licht in dunklen Tagen und die Hoffnung, dass Geben und Nehmen manchmal über den reinen Eigennutz hinausgehen.
Vielleicht ist das die schönste Lösung für das Problem öffentlicher Güter: ein Moment, in dem wir auf die Gemeinschaft schauen und uns freuen, dass wir gemeinsam etwas schaffen können. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr!
Für mehr Informationen:
Wenn Sie mehr über spieltheoretische Konzepte und deren Anwendung erfahren möchten oder auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk sind, empfehle ich einen Blick in Bartholomae, F. & Wiens, M. (2024): Game Theory and Applications, A Guide for Students and Researchers, Springer: Wiesbaden.
Master-Studierende im Studiengang International Business haben außerdem die Möglichkeit, im Wahlfach „Applied Game Theory“ tiefergehende Einblicke zu gewinnen und diese und weitere spannende Ansätze praxisorientiert zu erlernen.