Physische Risiken – Wie Extremwetter und hohe Temperaturen auf die G&V und Bilanz von Unternehmen wirken

Dieser Artikel wurde in voller Länge in der Zeitschrift “Corporate Finance”, Juli/August 2024, Fachmedien Otto Schmidt veröffentlicht.


Abstrakt

Physische Risiken sind über die Medien in den vergangenen Monaten immer präsenter geworden. Seien es die Bilder von Waldbränden, anhaltenden Trockenperioden oder Überschwemmungen, die als Ereignisse viel menschliches Leid nach sich ziehen und gleichzeitig die Aufmerksamkeit für veränderte Umweltsituationen erhöhen. Unternehmen der Real- und Finanzwirtschaft sehen aber auch zunehmend die aus physischen Risiken resultierenden finanziellen Auswirkungen, die sich in den „klassischen“ Kennzahlen der G&V und Bilanz niederschlagen: Also ein „call to action“ sich mit der Thematik näher zu befassen.

Einführung

Eine globalisierte Wirtschaft bietet ökonomische Chancen für Unternehmen und bedeutet gleichzeitig die Partizipation an globalen Risiken. Risiken im Zusammenhang mit Klima und Umwelt waren jedoch lange Themen, die in Deutschland und in vielen Teilen Europas keine übermäßige Aufmerksamkeit bekamen. Waren doch Überschwemmungen, Waldbrände oder länger anhaltende Trockenheit in Mitteleuropa bis vor einigen Jahren vergleichsweise selten. Nunmehr zeigen jedoch stetig neue Hitzerekorde und die Zunahme von Extremwetterereignissen in eine Richtung, die deutlich macht, dass diesem Risikobereich und seinen finanziellen Auswirkungen mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss.

Gerade beim Thema Klima und Umwelt reicht es nicht, den Blick auf nur eine Region zu beschränken. Viele in Europa ansässige Unternehmen betreiben über die Kontinente hinweg Produktionsstandorte und/oder sind über Lieferketten global vernetzt. Nimmt man nun eine weltweite Betrachtung ein, zeigt der Global Risks Report[1] des World Economic Forums (WEF) seit Jahren ein klares Bild: Extremwetterereignisse und sich ändernde klimatische Bedingungen gehören zu den größten mittelfristigen Risiken für Wirtschaft und Gesellschaft. Im 2024er Report des WEF sind die vier größten Risiken für die kommenden zehn Jahre im Klima- und Umweltbereich zu finden:

1. Extremwetterereignisse

2. Kritische Veränderungen der Erdsysteme

3. Biodiversitätsverlust und Kollaps des Ökosystems

4. Verknappung der natürlichen Ressourcen

Dass das am größten eingeschätzte Risiko „Extremwetterereignisse“ schon heute eklatant ist, zeigen die Schäden, die allein im vergangenen Jahr durch Naturkatastrophen verursacht wurden: Die Münchner Rück beziffert diese Schäden weltweit auf rund 250 Mrd. USD. Der Rückversicherer weist darauf hin, dass hohe Temperaturen weltweite Wetterkatastrophen begünstigen und der Trend zu wärmeren Temperaturen hauptsächlich auf den Klimawandel zurückzuführen sei.[2]

Bei den Risiken, die für Unternehmen im Zusammenhang mit dem Klimawandel und veränderten Umweltbedingungen bestehen, wird zwischen physischen Risiken und transitorischen Risiken unterschieden.

Physische Risiken sind Risiken, die einem Unternehmen aus den physischen Wirkungen des Klimawandels entstehen können. Unter dem Begriff der akuten physischen Risiken werden bestimmte Ereignisse wie Stürme, Überschwemmungen, Hitzewellen oder Waldbrände zusammengefasst. Chronische physische Risiken entstehen durch längerfristige Klimaveränderungen, die z.B. durch einen Anstieg des Meeresspiegels oder durch einen Temperaturanstieg hervorgerufen werden. Transitorische Risiken bzw. Übergangsrisiken bestehen für ein Unternehmen im Zusammenhang mit dem Übergang zu einer CO2-armen, nachhaltigeren Wirtschaft. Sie können die Bereiche politische und rechtliche Risiken, technologische Risiken sowie Markt- und Reputationsrisiken betreffen.[3]


[3] Europäische Kommission (2019), Leitfaden für die Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen: Nachtrag zur klimabezogenen Berichterstattung (2019/ C 209/01)

Unternehmen können sowohl Betroffene als auch Verursacher sein. Klima- und umweltbedingte äußere Einflüsse können sich finanziell auf die Unternehmen durchschlagen, wobei in diesem Fall von „finanzieller Materialität“ (financial materiality) gesprochen wird. Genauso können auch ihre eigenen wirtschaftlichen Tätigkeiten Auswirkungen auf das Klima und die Umwelt haben („Materialität der Auswirkungen“ – impact materiality). Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem ersten Aspekt, der so genannten Outside-in-Perspektive, und zeigt auf, wie sich physische Klimarisiken in den G&V- und Bilanzpositionen von Unternehmen widerspiegeln können.

Handlungsbedarf beim Management physischer Risiken

Eine der großen Herausforderungen im Hinblick auf physische Risiken ist die Ungewissheit der Eintrittswahrscheinlichkeit, des genauen Zeitpunkts sowie der Intensität bzw. des Ausmaßes eines Schadenereignisses, welches im Extremfall für ein Unternehmen sogar existenzbedrohend sein kann. Solche Ereignisse können ein Unternehmen bzw. Teile des Geschäftsbetriebs unmittelbar schädigen. Unternehmen sind daher aufgefordert, ein umfassendes Risikomanagementsystem sukzessive um den Bereich der physischen Risiken zu verstärken. Dies umfasst die Risikoinventur im Rahmen einer klima- und umweltbezogenen Due Diligence Prüfung – möglichst entlang der gesamten Wertschöpfungskette -, die Bestimmung der lokalen und globalen Betroffenheit und die Integration der finanziellen Auswirkungen von Schadensszenarien in die Finanzstrategie und -planung (vgl. Abbildung 1). 

Abbildung 1: Physische Risiken – lokal versus global (angepasst, Quelle: Pauw, P. (2015): Not a panacea: private-sector engagement in adaptation and adaptation finance in developing countries. Climate Policy, 15(5), 583-603.)

Der Bewertung der aktuellen und potenziellen finanziellen Auswirkungen physischer Risiken kommt daher große Bedeutung zu. Auf der einen Seite können sich Schadensereignisse direkt finanziell in der Unternehmensbilanz durch niedrigere Vermögenswerte und in der G&V durch die höheren Aufwendungen, die für den Wiederaufbau notwendig sind, bzw. durch geringere Erträge bei Produktionsunterbrechungen widerspiegeln. Auf der anderen Seite sind auch die eher dauerhaften Konsequenzen von physischen Risiken für den Unternehmenserfolg relevant.


Der vollständige Artikel von Johannes Hofinger (links) und Sandra Reich (rechts) ist auf der gated Website unter folgender Verlinkung zu finden: Physische Risiken – Wie Extremwetter und hohe Temperaturen auf die G&V und Bilanz von Unternehmen wirken


[1] The Global Risks Report 2024, 19th Edition, Insight Report, World Economic Forum, Januar 2024

[2] vgl. https://www.munichre.com/de/unternehmen/media-relations/medieninformationen-und-unternehmensnachrichten/medieninformationen/2024/natural-disaster-figures-2023.html, (Abruf: 9.5.2024)

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Über Johannes Hofinger 4 Artikel
Dr. Johannes Hofinger studierte Jura an der Universität Salzburg und Business Administration an der Boston University, USA, sowie der Sheffield Hallam University, UK. Schon während seines Studiums war er Anfang der Neunzigerjahre mit einer eigenen Firma einer der ersten Internetpioniere in Österreich. Danach erfolgte die Gründung einer Bankunternehmensberatung für Corporate Finance, Risk Management und Aufsichtsrecht, deren Geschäftsführer er heute immer noch ist. Nebenberuflich lehrt er seit vielen Jahren Finance in München, Wien, London und Moskau. An der Munich Business School ist er Professor for Finance and Accounting.
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Über Sandra Reich 2 Artikel
Dr. Sandra Reich ist gelernte Bankkauffrau, promovierte Juristin und ausgewiesene Kapitalmarktexpertin. Vor ihrer Tätigkeit als Unternehmensberaterin war sie von 2016 bis 2017 als Head of German Desk Asia-Pacific für die NORD/LB in Singapur tätig. Von 2009 bis 2016 war Sandra Reich Vorstandsmitglied der BÖAG Börsen AG, Hamburg und Hannover, sowie Geschäftsführerin der Börse Hamburg und der Börse Hannover. Sie ist Aufsichtsrats- und Beiratsmitglied bei verschiedenen Unternehmen.