Leadership 4.0

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Leadership 4.0, das ist die Antwort auf die Industrie 4.0. Für die einen eine Bedrohung, für die anderen eine Chance. Kommt es zur nächsten industriellen Revolution?

Erfahrungsgemäß und logisch ableiten lässt sich bei jeder industriellen Revolution, dass zunächst viele Arbeitslose erzeugt werden. Der Arbeitsmarkt braucht folgerichtig durch einen hohen Technologisierungsgrad eine geringere Anzahl an immer stärker qualifizierten Arbeitskräften! Andererseits entstehen neue Berufszweige und Industrien mit anspruchsvolleren Tätigkeiten und Gebiete, in denen der Mensch aus Sicherheitsgründen, wegen höherer Präzision oder der Reduktion von Routinearbeit ersetzt wird (Economist, 2016). Beispielsweise können Abstandssensoriken das Fahrverhalten direkt und indirekt beeinflussen, so dass gerade Auffahrunfälle (von Trucks) minimiert werden können. Ebenso sind neurochirurgische Minimalinvasiveingriffe von Menschenhand kaum zu erfüllen und verlassen sich auf eine mit dem Operateur gekoppelte Software, die dem mechanischen Roboter die Anweisungen übermittelt, die er mit höchster Präzision ausführt. Auch Arbeit, die bisher langweilend, langwierig, langsam und demotivierend erledigt werden musste, kann durch Systeme übernommen werden.

Leadership 4.0 und Industrie 4.0

Was ist nun genau Leadership 4.0 im Gegensatz zu herkömmlichen Führungsarten? Eine Organisation muss sich zukünftig auf der gesamtorganisatorischen Ebene (Makro-Leadership) und der Personalführung und -ausbildung (Mikro-Leadership) für den bevorstehenden strukturellen Wandel der Industrie strategisch und operationell vorbereiten. Der Fokus in diesem Fachbeitrag wird hauptsächlich auf das Mikro-Leadership, also die tatsächliche Umsetzung eines Führungswandels des Personals gelegt. Dies ist ein Paradigmenwechsel innerhalb der Personalführung. Allerdings kann man diesen nicht ohne Berücksichtigung der gesamt-organisatorischen Führung mit Werten, Kultur und strukturellen sowie systemseitigen Veränderungen der Gesamtorganisation durchführen. Hauptsächlich wird dies in nicht persönlicher Kommunikation und physischer Präsenz, sondern in virtuellen Organisationsformen erfolgen (Duarte und Snyder 2001): Zum Beispiel in einem virtuellen Team, das aus mehreren Spezialisten besteht, die unabhängig voneinander an einem gemeinsamen Projekt arbeiten.

Das ITI-Modell (Internationalisierung-Technologisierung-Individualisierung)

Die größte Dynamik der globalen Wirtschaft und Gesellschaft ist die extrem voranschreitende Internationalisierung und Technologisierung. Eine stark wachsende Weltbevölkerung, die gleichen Wohlstand und gleichen Ressourcenzugang haben möchte, ist der Motor der Internationalisierung: Weltweit sind der theoretische Zugang und die reale Verfügbarkeit von Produkten (Waren[handel]) zu Orten (Transport) und zu Menschen (Kommunikation) möglich (Albrecht, 2016). Eine Beschleunigung der Waren- und Kommunikationsströme kann durch bessere Abstimmungen systemseitig erfolgen. Kommunizieren nun diese Systeme untereinander, braucht sich der Mensch viel weniger mit der Aktivierung und der Überprüfung, ob und wie und mit welcher Qualität eine Handlung ausgeführt wird, zu beschäftigen. Eigentlich scheint das plausibel und man hätte das System „Industrie 4.0“ erfasst. Jedoch gibt es eine weitere wichtige Komponente, die genau aus dieser aufstrebenden Spirale resultiert, nämlich ein höherer Individualisierungsgrad. Je stärker die Angleichung aller Menschen ist, desto mehr wünschen sie sich, sich zu differenzieren bzw. sich von anderen abzuheben.

Paradoxerweise wollen Menschen gleichzeitig gewisse Trends kopieren, um sich dazugehörig zu fühlen, andererseits wollen sie aber ihre Einzigartigkeit zeigen. Diese Bedürfnisse zu erfüllen, können künftig selbststeuernde Systeme noch besser, da sie durch Datenmenge und -qualität das Kundenprofil besser erfassen können. Dabei ist für große Organisationen zu beachten, dass der Kunde nicht nur für den externen Konsumenten, sondern auch für den internen Mitarbeiter steht! Heißt das, dass Führung unbedeutend wird, und das klassische B2C (Business to Customer) von M2C (Machine to Customer) ersetzt wird, da die Schnittstellen komplett über M2M (Machine to Machine) perfekt abgedeckt sind?

Man könnte noch weitergehen und die These aufstellen: Wenn Maschinen, analog Managern, Systeme und Gruppen objektiv und zuverlässig steuern können, wäre dann eine komplette Führung durch Maschinen nicht sogar wünschenswert?

In erster Linie wären Maschinen viel objektiver hinsichtlich

  • Entscheidungsfindung: Entscheidungen würden auf einer größeren zur Verfügung stehenden Datenmenge basieren und abgewogen erfolgen.
  • Mitarbeitergespräch: Die Beurteilung der Mitarbeiter würde auf Faktenlage und weniger auf subjektiver Erfahrung und Voreingenommenheit oder gar auf Vorurteilen beruhen.
  • Adjustierung durch Kennzahlen: Kontinuierlich würden Kennzahlen abgefragt und mit diesen objektiv Entscheidungen getroffen und genauer bewertet werden.

Die Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen. Bis allerdings Maschinen komplett empathisch handeln können, wird es noch einige Jahre dauern! Wie sich herausgestellt hat, sind der persönliche Kontakt, das Gespräch, der informelle Gedankenaustausch essenziell, um Vertrauen aufzubauen und gerade hier wird es zukünftig vor dem Hintergrund der Industrie 4.0 eine Steigerung geben müssen, da die meisten Teams virtuell agieren und deshalb ein Vertrauensaufbau schwerer werden wird (Sarker, 2011).

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Neues Kompetenzprofil Leadership 4.0

Was erwarten wir von unseren Führungskräften und Teammitgliedern im Leadership 4.0?

Sowohl Führungskräfte als auch Teammitglieder benötigen

  1. technisch exzellente Schulungen und kontinuierliche Nachschulung, besonders im Datenbankenbereich und in IT-Anwendungen, um auf dem erwünschten Standard zu bleiben.
  2. exzellente Führungs- und Kommunikationseigenschaften. Das situative Führen bei kulturell unterschiedlichen Mitarbeitertypen, das auf Grund des jeweiligen Persönlichkeitsprofils nicht gewährleistet werden kann, muss ein Kollege oder Teammitglied übernehmen (Shared Leadership)
  3. einen extrem guten Umgang mit Mitarbeitern, aber gerade auch mit externen Zulieferern, Partnern und Kunden. Gerade im Complaint-Management (Beschwerde/ Kundenservice-Management) werden zunehmend die technischen Experten benötigt, um Auskunft geben zu können und Lösungen mit dem Kunden zu entwickeln.
  4. eine Verankerung bei einer inhaltlich versierten Person (Mentor) wie auch bei einem Empathie-fördernden Partner (Business Coach)
  5. extrem hohe Anpassungsfähigkeiten und Flexibilität, und zwar sowohl inhaltlich als auch projekttechnisch: Das kann nur durch wiederholtes Training und Lessons-Learnt-Austausch erreicht werden.

Zusammenfassend wird also nicht nur von Absolventen ein hohes technisches Know-how erwartet, sondern auch die Bereitschaft von Mitarbeitern, sich lebenslang weiterzubilden. Fachexpertise wird genauso wichtig werden wie Führungsqualität. Leadership 4.0 ruft die Personaler auf, darüber nachzudenken, die bisher favorisierte Trennung der Karrierewege von Fach-, Projekt-, Management /Führungskarrieren zukünftig wieder aufzuheben und diese zusammenzulegen.

Traumkandidat Leadership 4.0

Der Traumkandidat für das Leadership 4.0 in virtuellen Organisationsformen sieht wie folgt aus: Er ist fachlich sehr gut ausgebildet und hat sich schon im Studium mit komplexen Systemen in Theorie und Praxis beschäftigt. Idealerweise baut er sein Wissen ständig durch Erfahrung(saustausch) und Weiterbildung aus und hat hohe Führungskompetenz, die er nicht notwendigerweise selbst ausführt, sondern delegieren kann.

Eine stärker vernetzte Berufswelt erfordert neue Führungsformen und -qualitäten. Darüber hinaus wird eine neue Infrastruktur zwingend erforderlich, in der Führungskräfte und Teams virtuell operieren können. Organisationen im herkömmlichen Sinne, nämlich Mitarbeiter, die durch ihre Anwesenheit physisch präsent sind, werden zur Seltenheit werden. Umso wichtiger sind ein gemeinsames Verständnis und eine Identifizierung mit der Unternehmenskultur oder einem Produkt/ Projekt. Nur so kann eine Loyalität des Mitarbeiters hergestellt werden.

Um Leadership 4.0 zu realisieren, müssen Politik, Hochschulen und Industrie die erwarteten Kompetenzen fördern und dafür sowohl geeignete Trainings- und Weiterbildungskonzepte entwickeln.

 

Auszüge mit freundlicher Genehmigung des Hanser Verlags aus: Albrecht, A. (2016), Leadership 4.0, in: Digital vernetzt, Jung H.H. und Kraft, P. (Hrsg.), Hanser Verlag.

 

Quellen:

  • Albrecht, A.: Internationales Management, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin, 2016
  • Duarte, D.L.; Snyder, N.T.: Mastering virtual teams, 2nd ed., San Francisco, 2001
  • Economist: The Return of the Machinery Question. In: Special report: Artificial Intelligence, The Economist, 25 JUN 2016, 3-16, 2016
  • Sarker S.; Ajuja M.; Kirkeby S.: The role of communication and trust in global virtual teams: A social network perspective, in: Journal of Management Information Systems, 28 (1), 273–309, 2011
MBS Prof. Dr. Arnd Albrecht
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Prof. Dr. Arnd Albrecht ist seit 2010 Professor für Human Resource Management und International Management an der Munich Business School. Zudem ist er Programmdirektor des Studiengangs Bachelor International Business. Prof. Dr. Albrecht forscht und berät an der MBS und durch sein Consulting-Unternehmen Industrieprojekte hinsichtlich HRM, Leadership und Change Management. Nach seiner Promotion war er erfolgreich als internationaler Seniormanager in der Pharmaindustrie und als strategischer Berater für den Mittelstand und für Konzerne tätig. Prof. Dr. Albrecht ist zertifizierter Business Coach und hält einen MBA des Henley Management College.