„Made in Germany“ feiert Erfolge wie nie zuvor. Doch es wäre fatal, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Ein Weckruf von Dr. Kay Segler und Prof. Dr. Marc-Michael Bergfeld.
Fragen Sie einmal Roger Federer, was ein Sieg in Wimbledon für seine Vorbereitung auf das nächste Turnier bedeutet. Er wird Ihnen antworten: „Nothing. Past success is no guarantee for future success!“
Oder lesen Sie die Berichterstattung der letzten Jahre über Deutschland, den deutschen Mittelstand, unsere sportlichen Erfolge: Sie werden vieles lesen über Qualität „Made in Germany“, den Weltmeistertitel bei der letzten Fußball-WM etc… Aber auch hier gilt: „Past success is no guarantee for future success!“
In diesem Jahr wird Deutschland Güter im Wert von 1.400 Milliarden Euro exportieren. Noch nie war „Made in Germany“ so erfolgreich, vor allem der deutsche Mittelstand scheint fast unbesiegbar. Unter den aktuellen Rahmenbedingungen – exportstützender schwacher Euro, relative Stärke im europäischen Vergleich, globales Lob für Deutschlands Stabilität – scheint die Zukunft des Geschäftsmodells „Made in Germany“ gesichert. Doch beinahe unmerklich ändern sich einige wichtige Spielregeln radikal. Wer heute nicht aufpasst, kann schon morgen zu den Verlierern gehören. Der „Made-in-Germany-Mittelstand“ wäre gut beraten, sich gerade jetzt kritisch zu hinterfragen. Vor allem drei Herausforderungen sollte der Mittelstand ernst nehmen:
- Start-ups mit simplen Geschäftsmodellen
Zalando und Co. haben gezeigt, dass scheinbar stabile Geschäftsmodelle zerlegt, einfacher gestaltet und auf den Kernnutzen für die Kunden reduziert werden können. Das Argument „Es ist exzellente deutsche Qualität, daher kompliziert und zeitintensiv“ wird in Zukunft niemanden mehr überzeugen. Die Kunden wollen leicht verständliche Produkte, schnell und präzise geliefert. Wenn der Mittelstand nicht selbst darüber nachdenkt, werden es disruptive Start-ups tun, die per definitionem Regelbrecher sind. Zudem werden sie vom Kapitalmarkt – und durch Fördergelder der Regierungen – aktuell fast unbegrenzt mit Kapital ausgestattet. Sie schaffen einfache und schnell skalierende Geschäftsmodelle und benötigen dabei oftmals nicht die gesamte Wertschöpfungstiefe. Stattdessen kaufen sie Angebotsbestandteile und Ressourcen schlicht zu.
- Neue Wettbewerber aus Schwellenländern greifen die Kernmärkte des deutschen Mittelstands an
Der neue Mittelstand aus Asien, Indien und Lateinamerika drängt auf den Weltmarkt. Noch ist „Made in Germany“ gelassen, verweist darauf, dass deutsche Qualität in der Pyramide des Weltmarktes den Premium-Gipfel bildet und weltweit die ausgereiftesten Technologien bietet. Doch es ist ein Trugschluss, dass internationale Anbieter den deutschen Standard nicht erreichen können. Sie lernen schnell, „innovieren sich aufwärts“, verdienen in der Mitte und am unteren Ende der Pyramide durch hohes Volumen viel Geld – und erkaufen sich dann den Weg nach oben. Das geschieht entweder durch sehr präzise Investitionen in Forschung und Entwicklung, das Abwerben von Top-Talenten oder durch Firmenkäufe.
Der Mittelstand wäre darum gut beraten, zum Verkauf stehende deutsche Unternehmen und Marken untereinander zu übernehmen, um Nachfolgesituationen zu klären und sich das frei werdende Wissen und bewährte Marken gegen Wettbewerber zu sichern. Wir wissen von Warren Buffets „Shopping-Tour durch Deutschland“, dass die hiesigen Unternehmenspreise im globalen Vergleich attraktiv sind.
- Neue Märkte entstehen unten und oben
Der deutsche Mittelstand überlässt Wettbewerbern aus Schwellenländern deren Heimatmarkt oftmals fast kampflos und zieht sich mit dem Argument „Made in Germany, und daher gut und teuer“ in die Hochpreis-Segmente zurück. So ermöglicht er es lokalen Anbietern, durch schiere Masse und local-for-local-Innovation in und für die Schwellenmärkte zu Global Playern zu werden. Beispiele dafür sind Alibaba, Xiaomi oder Lenovo.
Der Mittelstand sollte mit Produkten in China für China oder in Indien für Indien auch im mittleren Marktsegment oder am unteren Ende der Pyramide vor Ort angreifen. Das bedeutet nicht, Billigware zu produzieren, sondern „Made in Germany“ den lokalen Bedürfnissen und dem Preisgefüge anzupassen und anzubieten.
Über dem Premium Peak, in dem der deutsche Mittelstand sich positioniert hat, entsteht zudem ein neues Segment an sehr hochwertigen und hochpreisigen Produkten. Aus kulturell bedingter vornehmer Zurückhaltung wagen wir es oft nicht, „Luxuspreise“ für besondere Leistungen aufzurufen. Und driften so in Richtung Mittelklasse, ohne es selbst zu bemerken. Um diesen Spagat zwischen günstigen und teuren High-End-Angeboten zu schaffen, ist eine ausgeklügelte Markenstrategie vonnöten. So können verschiedene Marken unter einem Dach präzise verortet werden und kommen sich in der Kundenkommunikation nicht gegenseitig ins Gehege.
In der Presse und an der Börse wird der Mittelstand heute gefeiert wie nie. Das macht es schwer, sich kritisch zu hinterfragen. Doch echte Champions brauchen keinen Wake-up- Call. Jetzt ist es an der Zeit, an der Zukunftsstrategie zu feilen. Denn jeder Weltklassespieler arbeitet vor allem dann an seiner Zukunftsstrategie und Konstitution, wenn es gerade gut läuft. Dazu möchten wir mit diesem Beitrag aufrufen.