Mirja Kindler (rechts im Foto oben), Studentin im Programm Master Sports Business and Communication, hat ihr Auslandssemester an der Brock University in St. Catharines, Ontario, Kanada, verbracht. Hier schildert sie ihre Erfahrungen.
Welche Ähnlichkeiten gibt es zwischen München und St. Catharines? Worin unterscheiden sich die beiden Städte?
Das Leben in St. Catharines, Ontario, unterscheidet sich sehr stark vom Leben in München. München ist eine Großstadt am Alpenrand und liegt in direkter Nähe zu anderen europäischen Ländern wie Italien, der Schweiz oder Österreich. St. Catharines hingegen ist eine kleine bis mittelgroße Stadt, in der vor allem die Studenten der Brock University und des Niagara College leben. Obwohl die Stadt nahe der Niagara-Fälle liegt (ca. 20 Minuten entfernt) und von Weinbergen und wunderschönen kleinen Hafenstädtchen (z. B. Port Dalhousie) umgeben ist, sind Erkundungen der Region wegen der schwachen Infrastruktur recht schwierig. Es gibt jedoch einen Bus (Mega-Bus, Greyhound), mit dem man für etwa 18 $ in 90 Minuten nach Toronto fahren kann.
Von Toronto aus kann man dann nach Montreal oder in kleinere kanadische Städte wie etwa London weiterreisen; oder man fährt von St. Catharines aus in etwa 90 Minuten nach Buffalo, NY. Während der „Reading Week“ (eine vorlesungsfreie Woche während des Semester) bin ich viel durch Kanada gereist (Ottawa, Quebec City, Montreal). Die meisten Studenten haben sich ein Auto gemietet und ihre Trips eigenständig geplant, aber es werden auch von der Brock University organisierte Kurztrips angeboten. Autofahren ist in Kanada sehr unkompliziert. Einige Verkehrsregeln (Stoppschilder und Ampeln) sind zwar anders als in Deutschland, man gewöhnt sich aber schnell an den kanadischen Verkehr. Wenn man ein Auto mieten will, sollte man den Vertrag vorher sehr sorgfältig durchlesen, denn die Mietwagenfirmen (Budget, Hertz usw.) sind dafür bekannt, am Ende zusätzliche Kosten zu berechnen.
Ich habe mir an den Wochenenden oft ein Auto gemietet (bei Enterprise) und bin in die USA gefahren, denn ich studiere Sport und besuche unheimlich gerne Sportveranstaltungen. Wie in den USA gibt es auch in Kanada gute College-Teams und Eishockey-, Basketball- und Baseball-Clubs, die in den großen Profiligen spielen. Wenn man allerdings die „Major Four“ (MLB, NBA, NFL, NHL) sehen will, geht das „nur“ im Eishockey (Maple Leafs), Basketball (Raptors) und Baseball (Blue Jays). Von daher macht es Sinn, nach Buffalo zu fahren und sich dort im New Era Field ein American-Football-Spiel der Buffalo Bills anzusehen. Neben der NFL (National Football League) ist Buffalo auch bekannt für Eishockey: es gibt ein Team, das in der NHL spielt (National Hockey League), die Junioren-Weltmeisterschaft 2017/18 hat hier stattgefunden und es gibt viele weitere Eishockey-Events. Buffalo, das auf der anderen Seite der Niagara-Fälle liegt, ist im Grunde eine Industriestadt (Stahl- und Automobilindustrie, darunter eine Fabrik von Ford und zwei von Chevrolet) und etwa zehnmal so groß wie St. Catharines. Dank seiner Sportclubs, dem Rathaus und der American Shopping Mall ist die Stadt aber sehr reizvoll.
Doch nicht nur in sportlicher, sondern auch in kultureller Hinsicht (Essen, Lifestyle und Shopping) bestehen große Unterschiede zu München. Als Brock-Student bekommt man dienstags zehn Prozent Rabatt in Supermärkten. Deshalb habe ich dienstags immer im Pen Center eingekauft, das von der Brock University aus gut mit dem Bus zu erreichen ist. An der Universität selbst gibt es nur Fastfood-Restaurants, unter anderem Subway, Tim Hortons, Starbucks, McDonald’s, Harvey’s und Burrito Bowls. In der Innenstadt gibt es aber viele tolle Restaurants, man kann Sushi oder auch vietnamesisch, koreanisch, vegan usw. essen gehen. Shoppen kann man gut in Einkaufszentren wie dem Pen Center, im Niagara Outlet oder auch im Eaton Center in Toronto, wo es die üblichen Geschäfte gibt (H&M, Zara, American Eagle etc.) – und man sollte unbedingt zum Kensington Market in Toronto zum Vintage-Shopping!
Ein weiterer zentraler Aspekt ist das Wohnen: Die Brock University bietet Unterkünfte sowohl auf dem Campus wie auch außerhalb an, sodass man entweder direkt auf dem Universitätsgelände (z. B. in The Lofts) wohnen kann oder in direkter Nachbarschaft (z. B. in den Queenston Residences in der Stadtmitte). Allerdings sind diese Unterkünfte teurer als Airbnb. Während meines Aufenthalts musste ich dreimal umziehen. Zuerst hatte ich über Airbnb ein Zimmer in einem Haus, in dem noch zwei andere Brock-Studenten und unser chinesischer Vermieter wohnten. Viele der Airbnb-Vermieter wollen Geld verdienen und konfrontieren einen bei der Ankunft mit ziemlich seltsamen bis fragwürdigen Regeln. Das führt in vielen Fällen zu Konflikten – und zum Umzug. Deshalb rate ich dazu, lieber etwas mehr zu bezahlen und in ein Wohnheim zu ziehen. Dort fühlt man sich nicht so isoliert und hat außerdem rund um die Uhr Service.
Zum Thema Wetter: Während des Herbstsemesters ist es in St. Catharines bis etwa Mitte Oktober heiß, sonnig und einfach wunderschön. Danach wird es langsam kühler und manchmal regnerisch. Aber insgesamt ist das Wetter hier viel besser als in Deutschland zu dieser Jahreszeit und gar nicht „typisch“ für das Kanada, das wir Europäer uns vor allem kalt vorstellen.
Welche Kurse hast du belegt? Inwiefern waren die Kurse vergleichbar mit denen an der MBS? Gab es Unterschiede?
Es dauerte erstaunlich lange, bis wir uns zu allen Kursen fest angemeldet und einen Stundenplan ausgearbeitet hatten. Das ist für eine große Universität wie die Brock University aber nicht ungewöhnlich. Hinzu kommt, dass das System ziemlich komplex ist und man nicht so schnell herausfindet, welche Kurse im kommenden Semester angeboten werden. Außerdem wird zwischen Online-Kursen, Seminaren, Workshops, kleineren Klassen (mit max. 25 Studierenden) und größeren Klassen unterschieden. Und dann gibt es Kurse mit und ohne Abschlussprüfungen; für letztere muss man während des Semesters mehr tun (Zwischenprüfungen, Hausarbeiten, Präsentationen, Case Studies), was das Reisen erschwert. Ich musste nur drei Kurse belegen und habe mich für Sales Management (MBA) und Organizational Behavior (MBA) an der Goodman School of Business sowie für Advanced Sports Marketing (Undergraduate) an der Fakultät für Sport entschieden, die alle in denselben Gebäuden stattfanden. Das Aufnahmeverfahren war sehr komplex und zeitaufwändig, darum habe ich erst sehr viel später festgestellt, dass ich auch die Möglichkeit habe, an Kursen mit Sportbezug teilzunehmen. Man kann die Kurse aber innerhalb von zwei Wochen belegen und etwa zwei Monate danach abwählen. Für mich als Studentin in einem Master-of-Arts-Programm waren die MBA-Kurse eine ziemliche Herausforderung, da zum Bestehen 60 Prozent verlangt werden. Im Gegensatz dazu war der Kurs in Advanced Sports Marketing das reinste Vergnügen!
Inhaltlich sind die Universitäten zumeist auf die vorgegebene Fachliteratur ausgerichtet, während Colleges eher praxisorientiert sind. Wie schon gesagt gefiel mir der Kurs in Advanced Sports Marketing mit seinen aktuellen Inhalten, seiner breiten Auswahl an Sport-Themenfeldern und der freien Themenwahl für Hausarbeiten und einen Videobeitrag sehr gut. Im Gegensatz dazu basierten die Themen in Sales Management auf einem Buch aus den 70er Jahren. Das fand ich enttäuschend, weil mich der Vertrieb als möglicher Arbeitsbereich sehr interessiert und der Dozent veraltete Beispiele, Methoden und Theorien anführte, die heute wirklich nicht mehr aktuell sind und zudem auch schon zum Allgemeinwissen gehören.
Was empfiehlst du künftigen MBS Studenten?
Meine Empfehlung für künftige MBS Studenten ist, sich darüber bewusst zu sein, dass sich in St. Catharines alles um die Brock-Studenten dreht. Das ist nicht mit einer kleinen Universitätsstadt in Deutschland, etwa Regensburg, vergleichbar. Die Uni, die drei Einkaufzentren/Outlets und die Gegend um die St. Paul Street im Stadtzentrum sind die einzigen Orte, an denen man Leute kennenlernt und Restaurants sowie Unterhaltungsmöglichkeiten (Shopping, Kino etc.) findet. E ist aber wirklich einfach, schnell nach Toronto, Montreal oder Buffalo zu fahren.
Ich glaube, es ist wichtig zu differenzieren: Wenn man schon einmal in einem Auslandssemester Erfahrungen gesammelt hat, in einer Großstadt gelebt hat und die USA oder Kanada bereits kennt, dann wird man sich an der Brock University vielleicht nicht wohl fühlen. Anders als bei US-amerikanischen Universitäten (z. B. die Michigan State University), wo viele Sportevents von fast allen College-Teams stattfinden, einschließlich kultureller Aktivitäten wie „Tailgate Parties“ vor den Spielen, gibt es an der Brock University nur das sogenannte Homecoming der Badgers: das Eröffnungsspiel – und auch das einzige Spiel – der Eishockey-Mannschaft der Brock University im Meridian Center im Stadtzentrum. Als Sportler kann man in vielen „Sport Clubs“ mitmachen und im Fitnesscenter und auf den Sportanlagen der Brock University trainieren; mit dem Sportangebot von amerikanischen Universitäten kann man das allerdings nicht vergleichen.
Wenn man aber noch nicht im Ausland studiert hat, ist Kanada eine gute erste Auslandserfahrung. Das Land ist westlich und man kann sich dort mit dem amerikanischen Lebensstil vertraut machen. Ich bin der Ansicht, dass Kanada für Bachelor-Studenten vielleicht besser geeignet ist, weil die MBA-Anforderungen für Master-Studenten anspruchsvoll sind und auch die Erwartungen an die Lebensweise eine Herausforderung darstellen können.
Wer sich für die Brock University entscheidet, dem kann ich Folgendes empfehlen:
- Nutzt den Flughafen-Shuttle für Brock-Studenten. Er ist kostengünstig und gibt einem die Chance, (dringliche) Fragen zu stellen!
- Bewerbt euch rechtzeitig für eine Unterkunft außerhalb des Campus (Queenston Residences), um mit anderen Studierenden in Kontakt zu kommen und zentral zu wohnen –Uber-Taxis sind in den Stoßzeiten sehr teuer!
- Budgetplanung: Obwohl die Lebenshaltungskosten sich nicht wesentlich vom deutschen Standard unterscheiden, sind Bücher an der Brock University sehr teuer (ein Buch kostet etwa 150 $) – wie auch das Reisen außerhalb von St. Catharines!
- Schaut euch unbedingt Spiele der NHL-, NBA- und MLB-Teams in Toronto an – das ist allerdings ziemlich teuer!
- Was ihr vielleicht nicht wisst: Es wird eine Steuer von 13 % auf alle Produkte und Dienstleistungen erhoben!
- Es gibt eine „Reading Week“ (eine vorlesungsfreie Woche im Semester), die nicht zum Lesen gedacht ist, sondern zum Reisen!
- Wer nach British Columbia oder Alberta reisen will, sollte etwas mehr Zeit und ein höheres Budget einplanen und entweder vor Semesterbeginn oder danach im Dezember dort hinfahren – es lohnt sich wirklich!
- Wer nach dem Studium in Kanada arbeiten will, sollte unbedingt Toronto und Montreal besuchen – dort gibt es jede Menge attraktiver Arbeitgeber!
- Wenn ihr in Montreal seid: Esst unbedingt Poutine (eine typisch kanadische Fast-Food-Spezialität aus Pommes frites, Käsebruch und Bratensauce)!
- Wenn ihr ein Wochenende frei habt und raus in die Natur wollt: Besucht den Algonquin Park, Ontarios größten und schönsten Park!